Oddworld – New ‘n Tasty: Delikatessen auf der Flucht

3. August 2014

Das Alienvolk der Mudokons ist gesellig, immer für einen Spaß zu haben und sehr, sehr emsig – also fristen sie ihr Dasein als Sklaven in Rupture Farms- Zu ihrem Leidwesen sind Mudokons aber auch verdammt lecker, weshalb sie ihr Arbeitgeber in der konzerneigenen Fleischfabrik zu Snacks verarbeiten will. Nachdem Rupturs Farms die Artenvielfalt wesentlich dezimierte, hat der freundliche Arbeitssklave Abe etwas dagegen und versucht, seine Artgenossen zu befreien.

Flüchtige Delikatessen

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Fürchterlich, lächerlich: Die Glukons herrschen über Oddworld und beuten den Planeten nach Belieben aus. (Bild: Polygamia)

“Oddworld – New ‘n Tasty” ist die (zunächst PlayStation 4-exklusive) Neuauflage des 17 Jahre alten Titels “Abe’s Odyssee” von PlayStation 1 und PC. Der Titel war seinerzeit ein wahrer Kritikerliebling, fuhr als 2D-Rätseladventure Traumwertungen ein und wurde von der Fachjournaille auch in den folgenden Jahren immer wieder hervorgekramt, um den Klassiker nicht gänzlich unterm Radar fliegen zu lassen. “Abe’s Odyssee” verkaufte sich nicht gut – auch der direkte Nachfolger “Abe’s Exodus” und die anderen beiden Oddworld-Titel auf Xbox blieben weit hinter den Erwartungen. Trotz eigener Single (“Get Freaky” von Music Instructor) und Kameo-Auftritt im dazugehörigen Video mit der Breakdance-Gruppe Flying Steps. Umso überraschender war ja die Ankündigung der Neuauflage, wenngleich viele Fans und Interessierte befürchten mussten, dass der Titel lediglich ein in 3D neu gerenderter Aufguss sein würde.

Ist sie nicht. Glücklicherweise.

Behutsam restauriert

Wir verhelfen unseren Mudokon-Kumpels zur Flucht. So einfach wie hier ist es aber selten.

Wir verhelfen unseren Mudokon-Kumpels zur Flucht. So einfach wie hier ist es aber selten. (Bild: Polygamia)

Just Add Water, die diese Version zu verantworten hatten, nahmen die Vorlage und peppten diese gehörig auf, ohne den Geist des Originals zu verwässern. Ihr steuert Protagonist Abe auf 2D-Pfaden, quatscht eure Artgenossen an, damit sie euch folgen, und verhelft ihnen durch mystische Portale zur Flucht. Dass die Rettungsaktion kein Spaziergang wird, wird schon nach wenigen Minuten klar. Sligs – garstige Wächter mit Gewehr im Anschlag – verfolgen Abe, sobald sie ihn erspähen durch die Botanik, schrecken auch nicht davor zurück, die anderen Mudokons zu massakrieren oder zu demütigen. Wut auf die Wächter? Bloß nicht attackieren, sonst werdet ihr von schnellen Salven niedergemäht. Bewegungsscanner nur schleichend durchschreiten, andernfalls ist euch der Feind auf den Fersen.. Neben dem Ausweichen ist das Lösen von Rätseln elementarer Bestandteil des Spiels – ein Teil, der euch analytische Fähigkeiten abverlangt. Oft verführen Hebel dazu, sie zu ziehen, ohne zuvor zu sondieren, was diese eigentlich auslösen. Und so passiert es, dass ihr andere Mudokons in einer Grube versenkt oder mit einem Fleischbrocken erschlagt. Oft genug wollt ihr drei, vier oder fünf Mudokons schnellstens durch eines der Vogeltore in Sicherheit bringen, sprintet deshalb und werdet als halbes Dutzend Mal niedergeschossen. Während ihr neu spawnt, sind die anderen Mudokons Geschichte. Behutsames, ruhiges und durchdachtes Vorgehen wird honoriert. Diesbezüglich ist “Oddworld – New ‘n Tasty” sehr nah am Original und Spielen gleichen Genres. Der Schwierigkeitsgrad ist deshalb auch eher hoch anzusetzen, solltet ihr wirklich alle Sklaven retten wollen.

Die Entwickler emanzipieren sich vom Original nicht nur insofern, als dass die Zahl der zu rettenden Mudokons verdreifacht wurde. Vielmehr ist “New ‘n Tasty” ein Best of des Originals. Spieler des selbigen werden hier und da ganze Versatzstücke wieder entdecken, dabei bleibt es aber. Während Spielmechanik und Storykorsett gleich blieben, wurde die Technik dem gegenwärtigen Stand angepasst. Rupture Farms ist kein hübsches 2D-Standbild mehr, dass screenweise umgeschaltet wird`, sondern geschmeidig scrollt (was der Übersicht zugute kommt). Es ist ein mit superben Animationen und feinsten Texturen wie Lichteffekten ausgestattetes Grafikfeuerwerk, das die PlayStation 4 nicht an ihre Leistungsgrenzen bringt, doch aber zeigt, wie zeitlos das Oddworld-Design war und ist.

Zwei Scrabs, ein Mudokon - ein Sandwich? Oddworld - New 'n Tasty spart nicht mit Konsumkritik (Bild: Polygamia)

Zwei Scrabs, ein Mudokon – ein Sandwich? Oddworld – New ‘n Tasty spart nicht mit Konsumkritik (Bild: Polygamia)

Es ist denn unterm Strich eine in 3D gestaltete Dystopie, die durchaus als Gesellschaftskritik verstanden werden darf. Ohne erkennbaren Abnehmer laufen die Fließbänder, werden neu zu schlachtende Subjekte befördert, zerstückelt, zermahlen und schließlich in Fässer gepackt, die in unüberschaubaren Lagerhäusern gestapelt werden. Überfluss, die Gier nach Umsatz ohne Rücksicht auf die Fauna. Die fiesen Glukons, denen der Konzern gehört, sind das pure Böse. Befehle schreiende, armlose Geldgeier, die in lächerlich große Uniformen gesteckt wurden und ohne ihre treudoofen Untertanen zum Leben nicht fähig wären. Die Sligs könnten ohne Prothesen nicht laufen, Scrabs sind blinde und tumbe Wachhunde, abgestumpft vom Leben zwischen Elektrozäunen, während die fleißigen Mudokons sich in Arbeit ertränken und alles um sie herum kaum merken – Abe muss sie erst anquatschen und wiederum befehligen, damit sie Initiative ergreifen.

Attraktiv ist anders - technisch hübsch ist es trotzdem. Bild: Polygamia)

Attraktiv ist anders – technisch hübsch ist es trotzdem. (Bild: Polygamia)

Das GameSpeak genannte Feature, mittels Steuerkreuz und den Schulterasten allerlei Sprachfetzen loszulassen, sorgt oft für erheiternde Momente. Wenn Mudokons herzlich kichern, weil Abe gepupst hat (und der kann auf Befehl tödliche Gase entfleuchen lassen), wenn sie blöd brabbelnd ihre Einverständnis geben, ist das ganz großes Kino. Auch das Original war dahingehend schon nett, “Abe’s Exodus” erweiterte die Palette um Ohrfeigen und Entschuldigungsgesten.

Eine ernste Thematik, ein zeitloses Spielkonzept, zeitgemäße Grafiken und knifflige Rätsel – “Oddworld – New ‘n Tasty” bleibt ein zeitloses Spiel.

Auftakt zu neuen 2D-Adventures?

Nun könnte man sagen: “Ja, toll! Eine Neuauflage eines Spiels. Einem Genre zugehörig, das niemanden interessiert.” Könnte so stimmen, aber: In den 1990ern waren 2D-Adventures der Machart von “Abe’s Odyssee” keine Seltenheit. “Flashback”, “Blackthorne” oder “Heart of Darkness” zählen zu den zeitlosen Titeln, Klassikern gar, die ihr unbedingt spielen solltet. “Another World” – ebenfalls diesem Genre zugehörig – wurde gar erst vor wenigen Wochen in der 20th Anniversary-Edition auf PlayStation 3 sowie Nintendo Wii U neu aufgelegt und erfreut sich auf gog.com größter Beliebtheit. Ich könnte mir vorstellen, dass je nach kommerziellem Erfolg von “New ‘n Tasty” nicht nur Oddworld Inhabitants zweiter Streich – “Abe’s Exodus” – neu aufgelegt wird, sondern andere Hersteller den Mut finden, Spiele dieser Machart zu portieren. Angesichts der Selbstveröffentlichungsmöglichkeiten auf allen größeren Plattformen nicht undenkbar, Tools wie die Unity-Engine (mit der “New ‘n Tasty” umgesetzt wurde) halten die zu investierende Summe niedrig. Und nach der Berichterstattung im Vorfeld von “New ‘n Tasty” könnten die Spiele im zweiten Anlauf doch noch zum Erfolg werden.

Gönnen würde ich es ihnen. Und wer weiß – vielleicht macht Polygamia ja genau dazu bald ein Special?

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