Duell des Grauens: Alien – Isolation vs. Neverending Nightmares

20. Oktober 2014

Den Aufschwung der Indies haben wir ja alle mitbekommen, höchste Zeit eigentlich für ein Duell der Unabhängigen gegen die Großen. Triple-A gegen Heimarbeit. David gegen Goliath. Und kein Genre ist besser dafür geeignet als Horrorspiele. Bühne frei für zweimal inszeniertes Grauen!

Das gleiche Ziel: Den Spieler erschrecken

Es ist wirklich erschreckend, wie viele Ähnlichkeiten zwei so unterschiedliche Spiele aufweisen können! „Neverending Nightmares“ ist ein kleiner Indie-Titel, der mit rund 100.000 US-Dollar aus einer Kickstarter-Kampagne finanziert wurde. Was an der Oberfläche ein Horror-Spiel ist, will aber noch viel mehr: Matt Gilgenbach verarbeitet in diesem auf den zweiten Blick sehr persönlichen Projekt seine eigenen Zwangsneurosen und Depressionen. „Alien: Isolation“ ist eine „Big Budget“-Produktion nach dem Rezept „Bekannte Marke als Spieluniversum nutzen“. Wo die (laut Wikipedia) rund 300 Mitarbeiter von Creative Assembly offensichtlich viel Mühe investiert haben, um dem Spieler ein interaktives Erlebnis im Alien-Universum zu bieten, möchten Infinitap Games, mit „Neverending Nightmares“ mehr als nur Unterhaltung bieten: Es würde Gilgenbach glücklich machen, wenn es dem einen oder anderen Menschen, der an einem ähnlichen Leiden erkrankt ist, Hoffnung machen könnte, dass es einen Ausweg aus der Krankheit gibt. Im Entwicklertagebuch zu seiner Kickstarter-Kampagne spricht Matt Gilgenbach offen über seine Gefühlswelt und deren Zusammenhang mit „Neverending Nightmares“:

Das übergeordnete Ziel beider Spiele bleibt aber das gleiche: dem Spieler gehörig Angst einjagen. Und zwar nach allen Regeln der Kunst. Und die verwendeten Stilmittel sind in beiden Fällen überwiegend die gleichen. Perfekt geeignet also für den Vergleich!

Walking Simulatoren des Grauens

Beide Spiele beginnen im Grunde recht harmlos. Viel mehr als Rumlaufen sollt ihr nämlich zunächst nicht. Auf Steam vergibt die Community dafür seit „Dear Esther“ gerne den Tag „Walking Simulator“, was der Sache natürlich nicht wirklich gerecht wird. Denn als Spieler gibt es durchaus genügend Sinneseindrücke, die von Anfang an daran zweifeln lassen, dass das Spiel nur ein Spaziergang wird. In beiden Fällen tragen Musik und Soundeffekte wesentlich dazu bei, eine Atmosphäre des schwelenden Grauens aufzubauen. Und während ihr immer auf der Hut seid, unsicher, ob hinter der nächsten Ecke nicht vielleicht der nächste Bildschirmtod wartet, zuckt ihr unwillkürlich zusammen, wenn akustische Schockeffekte eingesetzt werden, wie wir sie aus Horror-Filmen schon seit der Geburt des Tonfilms kennen. Das Repertoire reicht von Blitz und Donner bis hin zum plötzlichen Fortissimo im Soundtracks.

Dadurch, dass die Tonspur so eine große Rolle für beide Spiele spielt, fallen die offensichtlichen Unterschiede in der visuellen Darstellung im Grunde kaum ins Gewicht. „Neverending Nightmares“ inszeniert das Geschehen als eine Art Side-Scroller in 2,5D. Die überwiegend Schwarz-Weiß-Rot gehaltene 2D-Grafik orientiert sich dabei an den Werken des amerikanischen Künstlers Edward Gorey, dürfte viele Spieler aber auch an Indie-Comics erinnern, nicht zuletzt an Frank Miller’s Geschichten aus „Sin City“.

Schwarz-Weiß und ein Tupfer Rot: Die Grafik von "Neverending Nightmares" wirkt simpel, ist aber sehr passend.

Schwarz-Weiß und ein Tupfer Rot: Die Grafik von “Neverending Nightmares” wirkt simpel, ist aber sehr passend.

Die Gestaltung wirkt im Vergleich zu dem Aufwand, der vermutlich für „Alien: Isolation“ betrieben werden musste, karg und auf das Wesentliche reduziert. Gut möglich, dass mich „Alien: Isolation“ umso mehr beeindrucken konnte, da ich beide Spiele parallel gespielt habe. „Isolation“ gibt sich große Mühe, eine Spielwelt zu schaffen, die dem Set-Design vom ersten „Alien“-Streifen aus dem Jahre 1979 in nichts nachsteht. Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen!

Als wäre es 1979: Das Set-Design von "Alien: Isolation" hält sich eng an den ersten Teil der Alien-Reihe.

Als wäre es 1979: Das Set-Design von “Alien: Isolation” hält sich eng an den ersten Teil der Alien-Reihe.

Für jemanden, für den „Alien“ zu den absoluten Klassikern im Science-Fiction- und Horror-Genre zählt, ist „Isolation“ mit der vielleicht anschaulichste Beweis dafür, wie weit Video- und Computerspiele in den letzten 30 Jahren grafisch (und spielerisch) gekommen sind. Dafür befindet sich das Spiel überall da, wo die Gesichter in Großaufnahmen zu sehen sind, direkt im Uncanny Valley. Weiter schlimm ist das nicht, denn den Hauptteil des Spiels macht das Erkunden der Spielwelt in Ego-Perspektive aus. Und die sieht einfach nur großartig aus!

Das Uncanny Valley: Die Gesichter der Akteure in "Alien: Isolation" sind nah dran, aber wirken eben doch nicht lebensecht.

Das Uncanny Valley: Die Gesichter der Akteure in “Alien: Isolation” sind nah dran, aber wirken eben doch nicht lebensecht.

Der Tod ist nicht das Ende

Eine weitere Sache, die beide Spiele mit großem Genuss inszenieren, ist der wiederholte Tod des Spielers. „Neverending Nightmares“ verankert dieses Prinzip – wie es der Titel schon verrät – in der zugrundeliegenden Spielidee. Sterbt ihr, wacht ihr auf. Doch der Traum geht weiter. Ein echtes Erwachen ist unmöglich, ein Gefühl, dass ihr vielleicht aus eigenen Albträumen kennt.

Kein Erwachen: In "Neverending Nightmare" geht der Albtraum immer weiter...

Kein Erwachen: In “Neverending Nightmare” geht der Albtraum immer weiter…

„Neverending Nightmares“ nutzt dieses Gefühl ganz gezielt für die Geschichte, die es erzählen will. Spätestens wenn ihr das Spiel zum ersten Mal durchgespielt hat, bemerkt ihr, dass es drei unterschiedliche Enden gibt. In der Hoffnung, dass eines dieser Abschlüsse eine eindeutige Interpretation der Ereignisse im Spiel ein „Was ist echt und was ist Traum?“ zulässt, sucht ihr daher in den angegebenen Kapiteln nach möglichen Verzweigungen. Ihr bekommt auf dem Weg nur noch mehr Gelegenheit dazu, euch über die Deutung der zahllosen Symbole Gedanken zu machen, über die ihr auf dem Weg unweigerlich stolpert. Auf unterschiedliche Weise entstellte Puppen. Beunruhigende Familienportraits und natürlich die abnormen Monster, die euch hier und da im Wege stehen.

Puppengesicht

“Neverending Nightmare” ist durchzogen von mehrdeutigen Bildern wie unterschiedlich entstellten Puppengesichtern.

„Alien: Isolation“ bleibt hier an der Oberfläche und wirkt dadurch im direkten Vergleich erstaunlich platt, weil es sich im Wesentlichen auf den Horror als Unterhaltungsform reduzieren lässt, der in erster Linie von dem ständigen Drohen des nächsten Bildschirmtods lebt. Speichern könnt ihr nur an Terminals, wodurch euch die Gefahren in der Spielwelt umso bewusster werden. Und ihr werdet sterben. Sehr oft. Manchmal in so unerwarteter und überraschender Weise, dass es euch erschüttert und erschrocken aufschreien lässt. Teilweise aber auch in so unerwarteter und überraschender Weise, dass es einfach nur nervig ist und ihr am liebsten das Joypad in die Ecke pfeffern wollt.

Bemerkenswert ist, dass die im Vorfeld als unberechenbar angepriesene Auseinandersetzung mit oder besser gesagt die Flucht vor dem unheimlichen Wesen aus einer fremden Welt nicht das ganze Spiel dominiert. Beim Erkunden der Raumstation Sevastopol sollt ihr euch unter anderem mit anderen Gegnern auseinandersetzen. Während das Alien keinem festgelegten Script folgt und daher stets mehr oder weniger unberechenbar bleibt, sind die übrigen Kontrahenten in der Regel recht einfach im Umgang. Es wirkt fast so, als wären die ersten Zusammentreffen mit menschlichen Feinden dazu gedacht, den Unterschied zum Verhalten des Aliens möglichst zu betonen. Gerade durch diese Varianz gelingt es „Isolation“ hervorragend, die Spielabschnitte und deren Intensität zu variieren. Menschen erledigt ihr zur Not mit Gewalt. Den Androiden, die auf der Station als Arbeiter eingesetzt werden, könnt ihr zur Not davonlaufen. Gegen das Alien seid ihr allerdings so gut wie machtlos!

Working Joe

Ein “Working Joe” aus “Alien: Isolation”. Irgendwie unheimlich, oder? Die Angst ist auch absolut gerechtfertigt!

Schrecken ohne Ende?

Womit wir bei einer letzten Gemeinsamkeit beider Spiele wären: Beide strapazieren eure Nerven einen Ticken zu lang. Bis zu dem Punkt, an dem der Horror nicht mehr durchgehend funktionieren will und ihr euch ein Ende des Schreckens wünscht, weil dieser teilweise der Langeweile gewichen ist. Der Horror lässt nach, sobald ihr das Repertoire der beiden Spiele kennengelernt habt. „Isolation“ wird gerade in diesen Momenten besonders frustrierend, weil ihr hier nicht durch wiederholtes Spielen die perfekte Schleichroute herausfinden könnt, die unweigerlich jedes Mal zum Erfolg führt.

Das Spiel mit dem Alien fühlt sich manchmal wie russisches Roulette an. Mal bleibt ihr minutenlang in aller Vorsicht horchend in einer Ecke gekauert sitzen und lauscht nach verräterischen Geräuschen, die euch Aufschluss darüber geben könnten, wo das sich Alien gerade befindet, nur um dann aus heiterem Himmel nach den ersten zaghaften Schritten mit einem von hinten durchbohrten Brustkorb zu enden. Mal denkt ihr euch einfach „Scheiß drauf!“ und rennt in bester „YOLO!“-Manier ohne Rücksicht auf Verluste durch die Gänge und erreicht ohne große Gegenwehr die rettende Luftschleuse. Andererseits ist aber gerade das wieder die Stärke des Spiels! Und es fühlt sich wesentlich befriedigender an, dem Xenomorphen zu entkommen als dem, womit ihr es in anderen Stealth-Spielen zu tun bekommt.

Das Alien

Glück gehabt: Näher sollte euch der Xenomorph in “Alien: Isolation” besser nicht kommen!

„Neverending Nightmares“ auf der anderen Seite ist nach dem ersten Durchgang weitgehend durchschaut, was die Spielmechaniken angeht. Beim dritten Besuch der Nervenheilanstalt rennt ihr schon fast auf Autopilot durch die Gänge und erlebt keine großen Überraschungen mehr. Obwohl jedes weitere Ende Abschnitte parat hält, die ihr noch nie zuvor gesehen habt, ist der Grusel bis dahin schon weitgehend der Routine gewichen.

Ende ohne Schrecken?

Unterm Strich sind beide Spiele gut und der Vergleich macht deutlich, wie sehr die Spielebranche beides braucht: Indies und Blockbuster. „Neverending Nightmares“ spielt dort seine Stärken aus, wo ihr beginnt, das Erlebte zu interpretieren und dort, wo es sich keine Rechtfertigung sucht, die Grenzen des guten Geschmacks zu überschreiten, weil es im Gegensatz zu einer Großproduktion wie „Alien“ der breiten Masse keine Rechenschaft schuldig ist. „Isolation“ inszeniert für Fans der Vorlage nicht nur ein originalgetreues, sondern auch das bislang intensivste „Alien“-Erlebnis der Spielgeschichte. Es zeigt eindrucksvoll, wie nah Spiele schon dem großen Vorbild Kino gekommen sind. Beide Spiele suchen im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach Mitteln und Wegen, Neuland im Horror-Genre zu bestreiten. Selbst gefällt mir der persönliche Ansatz von „Neverending Nightmares“ besser, weil er auf der Ebene der Fiktion ansetzt und mich darüber hinaus fordert, mich intellektuell mit dem Spiel auseinanderzusetzen. „Alien: Isolation“ steckt mich in die Haut von Ripley. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!

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2 comments on “Duell des Grauens: Alien – Isolation vs. Neverending Nightmares

  1. Danke für den Vergleich, Mein Favorit ist ebenfalls Neverending Nightmares. Das Spiel ist anspruchsvoller und die Schwarz-Weiß-Rot Comic Grafiken treffen genau meinen Geschmack!

  2. Alien: Isolation ist meiner Meinung nach echt das spannendste Spiel der gesamten Alien-Reihe.