The Last Tinker – City of Colors: Wunderbare Liebeserklärung ans N64

2. Juni 2014

Die Webseite des Münchner Entwicklerstudios Mimimi Productions zeigt ein weinendes Mädchen. Gott weiß, wem das eingefallen ist. Aber „The Last Tinker“ ist ein quietschbuntes und zuckersüßes Knallbonbon, das mit Sicherheit sofort ein Lächeln auf die Lippen der Kleinen zaubern könnte!

In Erinnerungen schwelgen

Wenn mich Spiele an meine Jugend erinnern, sind sie normalerweise in Pixelgrafik gehalten und versuchen, die NES- und Amiga-Ära zu kopieren. „The Last Tinker: City of Colors“ passt als Spiel eher in die Generation N64, wirkt aber so, als hätten die Entwickler von Mimimi Productions Ende der 1990er ein Praktikum bei Nintendo Entertainment Analysis & Development gemacht. „The Legend of Zelda: Ocarina of Time“ scheint als Inspirationsquelle jedenfalls allgegenwärtig zu sein.

Die Bleakness entzieht der "City of Colors" die Farbe. Koru, der letzte Tinker, muss das irgendwie wieder hinbekommen. Sein kleiner Kumpel Tap hilft ihm dabei.

Die Bleakness entzieht der “City of Colors” die Farbe. Koru, der letzte Tinker, muss das irgendwie wieder hinbekommen. Sein kleiner Kumpel Tap hilft ihm dabei.

Unser Held Koru springt, wenn ihr mit gedrückter Rennentaste auf eine Kante zulauft, automatisch ab, visiert im Kampf Gegner an, die dann automatisch zum Ziel seiner Angriffe werden und wird unterwegs von seinem fliegenden Begleiter Tap beraten. Das sind alles Elemente, die dazu beigetragen haben, dass „Ocarina“  für viele bis heute als eines der besten und innovativsten Spiele aller Zeiten gilt. Seitdem haben natürlich zahllose Spiele diese Elemente kopiert und weiterentwickelt. Automatisches Springen kennen wir heute aus „Assassin’s Creed“, das Kampfsystem hat „Batman: Arkham Asylum“ perfektioniert.

Abtauchen

Machen wir’s kurz: Mit dieser Konkurrenz kann „The Last Tinker“ nicht mithalten. Im Grunde ist das Spiel da am schwächsten, wo es sich diese Spielmechaniken in den Vordergrund drängen: Die Jump’n Run-Sequenzen sind nicht sonderlich fordernd. Das potentiell vorhandene Kombosystem müsst ihr in den Kämpfen nicht ausreizen. Meist genügt es, die jeweils zuletzt erlangte Spezialfähigkeit geschickt einzusetzen. Wäre „The Last Tinker“ ein Spiel, das sich allein auf die Spielelemente Kampf und Geschicklichkeit verlassen müsste, wäre es bestenfalls ganz nett. Was das Spiel zu einer Besonderheit macht, sind zwei andere Qualitäten: Zum einen merkt ihr dem Titel in jeder Sekunde an, wie viel Herzblut in die Gestaltung der einzelnen Spielszenen geflossen ist. Zum anderen ist das Werk ungewöhnlich abwechslungsreich. Wo andere Spiele wie ein Mantra immer wieder die gleichen Elemente nach Schema F wiederholen, versucht „The Last Tinker“, euch so viel Abwechslung wie möglich zu bieten, indem es euch immer wieder mit kleinen, originellen Minirätseln konfrontiert. „City of Colors“ ist ein waschechtes Action-Adventure der alten Schule! In den besten Momenten vergesst ihr das Spiel und taucht einfach in die Welt ab.

Kämpfen und Hüpfen ist nicht alles - im Gegenteil! Die Rätsel sind die Highlights von "The Last Tinker". Dieses hier ist sogar ziemlich knackig!

Kämpfen und Hüpfen ist nicht alles – im Gegenteil! Die Rätsel sind die Highlights von “The Last Tinker”. Dieses hier ist sogar ziemlich knackig!

Dass das Spiel dabei absolut linear abläuft, hat mich absolut nicht gestört. In den rund acht Stunden, die ich gebraucht habe, um „The Last Tinker“ durchzuspielen, bin ich zu Wettrennen angetreten, bin an Wachen vorbei geschlichen, habe Sicherheitssysteme ausgetrickst, bin der Sonne nah genug gekommen, um ihr die Hand zu schütteln, habe als Detektiv Verbrechen aufgeklärt und ein ganzes Orchester dirigiert. Das letzte Spiel, das mich am PC mit einem so eigenen Flair in seinen Bann ziehen konnte war „Beyond Good & Evil“. Auf den Konsolen muss ich nicht ganz so weit zurückdenken: Die Rettung von Tinkerworld hat mich immer wieder an „Tearaway“ auf der PlayStation Vita erinnert! Nicht nur weil beide Welten aus Farbe und Papier bestehen, sondern weil beide Spielwelten mit ähnlich viel Liebe zum Detail gestaltet wurden.

Ein Höhepunkt im Spiel: Die gut gelaunte Sonne staunt nicht schlecht, wenn wir ihr nah genug kommen, um ihr die Hand zu schütteln!

Ein Höhepunkt im Spiel: Die gut gelaunte Sonne staunt nicht schlecht, wenn wir ihr nah genug kommen, um ihr die Hand zu schütteln!

Die Musik

Einen wesentlichen Beitrag zur Atmosphäre von „City of Colors“ leistet dabei die Musik: Von düster bis unbeschwert, von melancholisch bis aufgeregt – der Soundtrack von Filippo Beck Peccoz untermalt die Stimmung der einzelnen Abschnitte perfekt und wechselt ebenso häufig wie selbstsicher durch unterschiedliche Musikstile, Rhythmen, Tempi und Instrumentierungen. Andy könnte vermutlich besser beurteilen, inwiefern sich die Musik stilistisch von dem Soundtrack anderer Spiele unterscheidet und ob sie qualitativ mit den Meisterwerken der Spielmusik mithalten kann oder nicht. Ich bin im Gegensatz zu Andy eigentlich niemand, dem beim Spielen die Musik unbedingt auffällt. Bei „The Last Tinker“ war sie für einen Akkustikbanausen wie mich jedenfalls teilweise Grund, weiterzuspielen oder in der Spielwelt zu verweilen.

Die Musik im Spiel ist nicht nur sehr gut: In einem der Spielabschnitte wird sie sogar zum Bestandteil des Spiels!

Die Musik im Spiel ist nicht nur sehr gut: In einem der Spielabschnitte wird sie sogar zum Bestandteil des Spiels!

Und wenn euch der Soundtrack kalt lässt, schließt ihr ja vielleicht die Bewohner von Tinkerworld ins Herz? Da wären zum einen die Bürger der Stadtteile, die jeweils die Tugenden bzw. die Abkehr von diesen verkörpern. Im grünen Distrikt wohnen beispielsweise waschechte Angsthasen, die wie eine Kreuzung aus Schildkröte und Raving Rabbid aussehen. Das absolute Highlight ist der etwas unterbelichtete Biggs und sein kleines Alter Ego Bomber. Die beiden tauchen immer wieder auf und müssen zum Lösen einiger kniffliger Rätsel eingespannt werden, was sie vermutlich nicht immer unbedingt lustig finden, weil sie einige Male dabei das Zeitliche segnen müssen.

Sooo charmant

Zum besonderen Charme der Figuren trägt ihre Vertonung bei. Auch hier fühle ich mich sofort an einen anderen Nintendo-Klassiker erinnert: Ähnlich wie in „Banjo Kazooie“ wurden alle Dialoge mit durchgeknallten Plapperlauten unterlegt. Und wie überall im Spiel könnt ihr euch auch hier wunderbar vorstellen, wie viel Spaß die Entwickler mit der Vertonung der Tinkerworldianer gehabt haben müssen!

Sind die nicht süß? Die Angsthasen im grünen Distrikt müssen erst überzeugt werden, dass Koru keine Gefahr ist.

Sind die nicht süß? Die Angsthasen im grünen Distrikt müssen erst überzeugt werden, dass Koru keine Gefahr ist.

„The Last Tinker“ ist so eine Art Tripple-A Indieproduktion. Für ein kleines Studio wie die Mimimi Productions (auf der Webseite sind gerade mal neun Leute aufgelistet!) ist es ein geradezu größenwahnsinniges Projekt. Ich will nicht wissen, wie oft sich die Jungs und Mädels (im Abspann werden noch einige mehr aufgeführt) die Nächte um die Ohren hauen mussten, um dieses kleine Mammut zu stemmen! Ich glaube, es gibt nur zwei Gründe, warum man als Entwickler eine solchen Kraftanstrengung vollbringen kann: Absolute Existenzangst und bedingungslose Leidenschaft. Letztere springt einem in „City of Colors“ ebenso ins Auge wie die knalligen Farben der einzelnen Stadtteile.

Wer ein Spiel spielen will, das vielleicht nicht immer alles perfekt machen konnte, dafür aber mit viel Freude gestaltet wurde und den Charme der N64-Ära einfangen konnte, sollte vielleicht auch einfach mal so leidenschaftlich sein, die 21,99 Euro für dieses Spiel und seinen Soundtrack locker zu machen. Ich wünsche den Mimimis zwei Dinge: Dass sie das Spiel auch auf die Konsolen bringen (eine PS4-Umsetzung ist wohl geplant) und irgendwann wieder so ein größenwahnsinniges Projekt auf die Beine stellen können!

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