Ori and the Blind Forest: Die pure Perfektion!

14. März 2015

Es gibt kein perfektes Spiel. Ich wüsste jedenfalls nicht, wie es aussehen könnte. Denn etwas zu meckern gibt es immer. Konkreter: Man kann jedes Spiel gen Himmel jubeln und gleichzeitig bis in den Abgrund zerreißen. Das hat mich zumindest die 32 Jahre gelehrt, in denen ich aktiv spiele.

Ohne Erwartungen

Ich hatte “Ori and the Blind Forest“ nicht wirklich auf dem Schirm. Ja, mir war bewusst: Da kommt ein Indie-Titel, der wirklich schön sei. Die paar Bilder, die ich mir anschaute, bestätigten diese Annahme. Aber “hübsche“ Spiele gibt es viele – und gerade in der heutigen Zeit steckt dahinter ein eher seichtes Vergnügen, das abseits von Grafik und Story immer weniger Substanz bietet. Das soll jetzt kein Gemecker sein, aber es ist nun mal so: Spiele haben sich verändert und müssen möglichst für jedermann zugänglich sein.

Der Anfang von etwas ganz, ganz Besonderem.

Der Anfang von etwas ganz, ganz Besonderem.

In den ersten Minuten dachte ich gar nicht daran, dass Spiele früher “anders“ im Sinne von “anspruchsvoller“ waren. Natürlich gibt es auch heute schwere Titel, doch die setzen mehr auf Ausdauer und prozedural erstellte Levels, wo weder Auswendig ernen noch ernsthaftes Grübeln hilft. Es geht allenfalls um Reaktionen und Durchhaltevermögen.

Nein – die ersten Minuten von “Ori and the Blind Forest” sind unbeschreiblich. Dieses Spiel ist nicht einfach “hübsch“: Es hat die meiner Meinung nach gottverdammte, beste Art Direction aller Zeiten. Es wirkt nicht nur wie ein bis ins Letzte perfektionierter Zeichentrickfilm, sondern erschlägt euch mit Details und Animationen wie kein anderes Spiel zuvor. Allein das spielbare Intro ist von epischer Schönheit.

Völlig geflasht von diesem Ersteindruck, den ich in der Intensität nie und nimmer erwartet hätte, dachte ich mir nur eines: “Bitte versaut es nicht“. Ich dachte es ungefähr sieben Stunden lang: „Bitte… versaut… es… nicht.“ Bei wie vielen Spielen, die mich auf Anhieb begeisterten, musste ich an irgendeinem Punkt ernüchtert feststellen, dass Designer und Programmierer auch nur Menschen sind, die Fehler machen. Wie gesagt: Kein Spiel ist perfekt.

“Ori and the Blind Forest“ ist rein vom Konzept her ein gewöhnliches Jump’n’Run mit einer gepfefferten Portion “Metroid“. Ich sage bewusst, dass es KEIN Action/Adventure ist – es existieren zwar ein paar Rätsel, aber die sind in der Unterzahl. Dafür lernt ihr jedoch nach und nach Fähigkeiten, mit denen ihr genau wie in einem typischen Samus-Aran-Abenteuer immer neue Gebiete erreicht und euch somit eine immer größere wie verwinkeltere Spielfläche zur Verfügung steht. Während ihr anfangs nicht mehr als laufen und springen dürft, so könnt ihr irgendwann an Wänden klettern, doppelt hüpfen oder sanft zu Boden segeln.

Die meisten der Fähigkeiten sind rein auf dem Papier betrachtet “Standardware“. Nur eines fällt gesondert auf: Ab einem bestimmen Zeitpunkt könnt ihr per “Stoßen“ Gegner und Geschosse als eine Art Sprungbrett benutzen. Das heißt, ihr hüpft in die Luft, visiert einen euch entgegen hechtenden Feind an und aktiviert die besagte Fähigkeit. Das Spiel friert für ein paar Sekunden ein, währenddessen ihr nun die Richtung bestimmt, in die ihr als nächstes fliegen wollt. Allein mit diesem Trick erreicht ihr auf höchst abenteuerliche Weise Regionen, die euch in anderen Spielen dieser Art verwehrt bleiben würden. Nebenbei erwähnt stürzt der Gegner in die entgegengesetzte Richtung und lässt sich somit prima als provisorisches Geschoss missbrauchen, um eine brüchige Wand zu zerbersten.

Ohne Zwang

Allein dieses eine Spielelement ist einer der wichtigsten Erfolgspunkte von “Ori and the Blind Forest“. Die Designer stellen euch vor Aufgaben und Herausforderungen, in denen ihr die Fähigkeit bis ins letzte Detail perfektionieren müsst. Das daraus kein Frust entsteht, wenn ihr mal an einer Stelle dutzendfach scheitert, liegt natürlich zum einen an der Grafik, zum zweiten an den paar Sekunden Pause, die gleichwohl nie den Spielfluss stören, und zum dritten dank eines der besten, fairsten und gleichzeitig herausfordendsten Speichersysteme aller Zeiten.

Und jetzt stellt es euch in Bewegung vor...

Und jetzt stellt es euch in Bewegung vor…

Genau genommen findet ihr nur ganz wenige feste Speicherpunkte, die euch zudem vollständig regenerieren. Darüber hinaus müsst ihr mit einer blauen Energie hantieren, die ihr primär zum Generieren eigener Checkpoints einsetzt. Ihr könnt somit selbst entscheiden, an welcher Stelle ihr einen Schnitt machen wollt – und die bedingt verfügbare Menge der Energie garantiert gleichzeitig, dass ihr es nicht übertreibt. Ihr müsst einfach überlegen und selbst abwägen, wann ein Speicherpunkt sinnvoll ist und wann nicht.

Der nächste Clou ist das Actionelement: Allein mit Laufen und Rumhüpfen wäre “Ori and the Blind Forest“ für viele zu “langweilig“. Doch gleichzeitig birgt das Element des Schießens die Gefahr, dass sich das Spieldesign immer mehr darauf versteift und die Herausforderung plötzlich im stupiden Ballern versandet. Deshalb könnt ihr auch gar nicht direkt schießen, sondern werdet recht früh von einem kleinen, leuchtenden Wesen namens Sein begleitet. Sobald ihr euch in der Nähe eines Gegners aufhaltet, müsst ihr nur die Feuertaste drücken – und schon knallt Sein automatisch ein fettes Geschoss in die entsprechende Richtung. Sprich: Ihr müsst nicht zielen. Und dieses Zugeständnis half den Designern enorm, die eigentliche Herausforderung weiterhin auf das Laufen und Springen zu bündeln.

Bevor nun jemand einwirft: “Aber Spiel XY hat das doch auch schon so ungefähr gemacht…“ – das mag sein. Aber mir fällt auf Anhieb kein Titel ein, in dem all diese Elemente so perfekt und harmonisch ineinander übergreifen. Die meisten modernen Spiele geben euch auf der einen Seite Komforteingeständnisse und legen euch auf der anderen Seite völlig hannebüchene Steine in den Weg, damit es eben nicht ZU leicht wird. Im schlimmsten Fall werden diese dann auch noch durch weitere Aspekte wieder und wieder krampfhaft ausgeglichen oder abgewogen, anstatt dass sich die Designer von Beginn an klar machen, was sinnvoll ist und was nicht. Und in “Ori and the Blind Forest“ macht einfach alles Sinn. Es gibt euch genau das, was ihr braucht. Nicht mehr und nicht weniger.

Drei Passagen werden euch zur Weißglut treiben – dort müsst ihr eine Art, ich sag’s mal bewusst ganz nüchtern, Hindernisparcours unter Zeitdruck bewältigen und dürft keine eigenen Speicherpunkte generieren. Die letzte davon bildet den Abschluss des Spiels und ist mit gebürtigem Abstand die schwerste Stelle. Ich hab gut eine Stunde daran gesessen – obwohl der finale Durchlauf keine fünf Minuten andauert. Die meisten meiner Versuche verlangten ein bis zwei Minuten – ihr könnt also hochrechnen, wie oft ich gescheitert bin. Und es war mir egal. Völligst egal. Ich wollte das schaffen. Ich MUSSTE es schaffen. Die Motivation ist gigantisch. Und die Befriedigung, es geschafft zu haben, siedelt auf “Dark-Souls“-Niveau an.

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Der Moment, wo das Spiel von perfekt zu unsterblich wird.

Und all das liegt an der Inszenierung, die wirklich keinen Makel besitzt. Diese “Hindernisparcours“ sind keine schnöden Levels, in denen ihr von Plattform zur Plattform hüpft. Nein: Da geht die Post mehr ab als in jedem Ego-Shooter, den ihr gespielt habt. Was sich alles bewegt, kracht und einstürzt, ist eine Meisterleistung der virtuellen Choreografie. Und als I-Tüpfelchen ist das Leveldesign originell und herausfordernd, während die majestätische Musik von Gareth Coker zur absoluten Höchstform aufläuft. Die einzige Schwäche, die man “Ori and the Blind Forest“ hier ankreiden könnte: Es ist sehr, sehr, sehr schwer, einen Parcours zu knacken, wenn man nicht weiß, was einen erwartet. Aber dieses Try & Error nehmt ihr in Kauf, weil ein Restart eine Sache von Sekunden ist und der Rest einfach derart gut ist.

Ohne Makel

Es gibt kein perfektes Spiel, deshalb muss ich bei “Ori and the Blind Forest“ irgendwas bemängeln. Brechstange rausgeholt, ja, eine einzige Sache hat mich gestört: Ihr müsst an manchen Stellen mithilfe der blauen Energie Tore öffnen. Je nach Tor benötigt ihr bis zu vier Energiekugeln, die ihr natürlich nicht immer bei euch tragt, weil ihr sie aufgrund des Speichersystems fleißig verbraucht. An einer Stelle hatte ich demnach keine mehr übrig, weshalb ich umständlich welche sammeln musste. Da wäre es besser gewesen, wenn ihr die Tore einfach anhand der MAXIMALEN Energie, die euch zu dem Zeitpunkt bereits zur Verfügung steht, hättet öffnen können.

Das ist alles. Das ist alles, was ich an “Ori and the Blind Forest“ zu bemängeln habe. Der Rest ist ein Husarenstück ohne Vergleiche. Und auch wenn eine solche Aussage gewagt ist, so kann mich an keine zehn Spiele von über zehntausend (!) erinnern, die besser oder ähnlich gut waren. Ich könnte noch weiter schwärmen über die pure Reinheit des magischen Soundtracks oder die clever integrierten RPG-Elementen, dank derer ihr zusätzliche Kräfte und Fähigkeiten freischaltet, ohne dass sie das Spiel zu kompliziert machen. Aber letztlich summiert sich mein Fazit auf einen simplen, schlichten Satz:
“Ori and the Blind Forest“ ist pure Perfektion.

Kleiner Nachtrag: Ich habe die PC-Version gespielt. Bezüglich der Xbox-One-Version kursieren diverse Berichte und Meinungen, die von Bugs und Rucklern reden. Diese sind mir am Computer zu keinem Zeitpunkt untergekommen beziehungsweise ernsthaft aufgefallen.

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2 comments on “Ori and the Blind Forest: Die pure Perfektion!

  1. V4d3r Mrz 14, 2015

    Super Beitrag. Danke. Muss direkt mein Steam Client starten. Weiter so.

  2. Ist der zweite Screenshot mit der (hässlichen) Windowstaskleiste Absicht?