Rennspiele sind toll, dummerweise hab ich von dem Genre nur wenig Ahnung. Lizenzen, originale Strecken und berühmte Namen sind mir Schnuppe, irgendwelche Bezeichnungen sind ohnehin nur Schall und Rauch. Und mir wird es für ewig ein Rätsel bleiben, was die Menschen an Formel 1 finden. Aber ich mag Rallyspiele total gerne, vor allem die beiden „Rallysport Challenge“-Episoden habe ich auf der Xbox abgöttisch geliebt. Unverändert verfluche ich Monat für Monat DICE, die es nicht geschafft haben, für Teil 2 eine Xbox 360-Kompatibilität zu realisieren. Das, was mich am meisten an Rally-Titeln fasziniert, das ist die permanente Konzentration auf die Piste, auf der ich in der Regel auf mich alleine gestellt und meinen virtuellen Beifahrer angewiesen bin. Das intensive Analysieren des eigenen Fahrverhaltens und das Bestaunen schöner Naturlandschaften sind für mich seit jeher aufregender als Adrenalin-getriebene Wettrennen auf metropolitanen Autobahnen. Vielleicht waren das auch die Gründe, wieso ich mit „Colin McRae Dirt“ und vor allem dem Nachfolger „Dirt 2“ nicht ganz so viel anfangen konnte, schließlich entfernten sich beide Spiele sehr weit von dem ursprünglichen Sport und servierten mir eine schicke, stylische und ach wie coole bzw. Mainstream-taugliche Action, die nur auf farbenfrohem Entertainment ausgelegt war.
Sicher kenne ich nicht alle Rally-Spiele der Vergangenheit, dennoch freute ich mich auf „WRC: FIA World Rally Championship“. Denn die Entwickler von Milestone versprachen mir eine Simulation mit Arcade-Touch der seriösen Art – ganz im Stil von „Rallysport Challenge“. Und tatsächlich: Nach etlichen Herausforderungen kam trotz ernüchternder Optik wieder dieses fast vergessene Gefühl auf, das mich früher so lange vor den Fernseher fesselte. Doch dann geschah etwas Seltsames: Ich las den „World Rally Championship“-Test auf 4Players. Dort kam das Spiel einerseits nicht sonderlich gut weg, andererseits empfahl mir der Autor folgendes: „Wer auf aktuelle Lizenzen verzichten kann, sollte aber eher darüber nachdenken, ein altes Colin McRae-Exemplar zu entstauben, mit dem man auch heute noch mehr Spaß haben kann als hier.“
Gelesen, getan. Ich kaufte mir prompt für ein paar Euro „Colin McRay Rally 2005“ – fairerweise für die Xbox („WRC“ hab ich für Xbox 360). Denn das Spiel funktioniert auch auf dem Nachfolgemodell. Jetzt sollte das alte Stück Software zum Vergleich herangezogen werden. 4Players meinte ja, der mittlerweile sechs Jahre alte Klassiker sei gegenüber „World Rally Championship“ die bessere Wahl.
Was soll jetzt nach dem ausgiebigen Testen der zwei Spiele sagen? Ich bin überrascht!
Es fängt schon bei der Fahrphysik an. Sowohl „World Rally Championship“ als auch „Colin McRae Rally 2005“ glänzen in meinen Augen mit ihrer überzeugenden sowie gelungenen Gratwanderung zwischen Simulation und Arcade-Eingängigkeit. Vor allem ist es nötig, bedacht mit Gas und Bremse umzugehen, ebenso müssen die individuellen Eigenschaften der Fahrzeuge berücksichtigt werden. Unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten, darunter Matsch, Asphalt oder Schnee, wirken sich gravierend auf das Fahrverhalten aus – so wie ich es erwarte. Hinzu kommen automatische Fahrhilfen, die bei „WRC“ etwas ausgiebiger ausgefallen sind und offensichtlich mehr Richtung Genre-Einsteiger schielen. Bei „Colin McRae Rally 2005“ empfinde ich die Kontrolle der Fahrzeuge einen Hauch herausfordernder, zum Beispiel bei Sprüngen mit dem Wagen landet ihr nicht immer präzise und müsst entsprechend flott reagieren. Ebenso schert das Auto häufiger aus und technische Schäden durch Unfälle können schneller entstehen als bei „WRC“. Der Realismusfaktor ist beim alten „Colin“ etwas höher, was sich auch an anderen Stellen feststellbar ist: Im Karriere-Modus gibt’s Punktabzüge für notwendige Reparaturen zwischen den einzelnen Etappen, die ebenfalls nicht auf der Strecke sichtbare Konkurrenz ist gnadenlos und fast alle Strecken sind deutlich enger als beim 2010er-Konkurrenten. „WRC“ setzt vielmehr auf einen fairen Einstieg mit einer leicht ansteigenden Lernkurve und mehr Transparenz. Unter anderem seht ihr live bei jedem Rennen, welchen Platz ihr einnehmen werdet, sodass ihr dazu angehalten seid, euch womöglich noch etwas Mühe zum Schluss zu geben. Bei „Colin McRae Rally 2005“ erfahrt ihr erst nach einem Rennen, wie gut ihr wirklich wart. Dazu kommen etliche weitere Komfortfunktionen bei „WRC“: Ihr dürft zwischen mehreren Fahrzeugprofilen, abhängig von dem jeweiligen Kurs, wählen, den Grad der Herausforderung flexibler anpassen und Rennen nachträglich nochmals starten. „Colin“ ist hier deutlich rückständiger, was auch für die gesamten Menüs gilt. „WRC“ sieht zwar im Gegensatz zu einem „Dirt“ in den Optionen, bei der Fahrzeugwahl und so weiter äußerst bieder und wenig ansprechend aus, unterbieten kann „Colin“ die Tristesse locker.
Wer gerne Feintuning an seinen Fahrzeugen betreibt, kommt bei „WRC“ übrigens ein wenig besser weg als bei „Colin McRae Rally 2005“, mir als normalsterblicher Mächtegern-Rallyfahrer ist das alles nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln. Hier gibt sich „WRC“ etwas großzügiger, weil das Spiel von euch keine ausgiebigen Technik-Vorkenntnisse abverlangt. Schön ist ferner, dass ihr die KI bei „WRC“ justieren und euren eigenen Erfahrungen anpassen könnt – das fehlt beim alten Colin in der Form, abgesehen von der plumpen Wahl zwischen zwei Schwierigkeitsgraden. Verzichten können beide Titel natürlich nicht auf die Lizenzen, die mir wie gesagt nicht sonderlich wichtig sind. „WRC“ verfügt über sämtliche Sub-Meisterschaften im „World Rally Championship“, darunter J-WRC oder P-WRC. Das bringt zahlreiche Kurse und 18 Rally-Wägelchen mit sich, meine Recherche ergab, dass die Kurse aber nicht detailgetreu umgesetzt wurden. Mag sein, das ist mir aber auch Schnuppe, schließlich kenne ich die Originale eh nicht. „Colin McRae Rally 2005“ hat ebenso Lizenzen im Programm, logischerweise die damaligen. Ob das nun gut oder schlecht ist, mag ich nicht beurteilen, das wissen vermutlich eh nur die echten Sportprofis.
Alles in allem möchte ich sagen, dass „WRC“ in jedem Fall für Anfänger den besseren Einstieg bietet als „Colin 2005“, spielerisch sind sich beide Titel aber ungewöhnlich ähnlich. Vor allem dann, wenn ihr sie kurz nacheinander zockt und Direktvergleiche anstellt, erkennt ihr frappierende Ähnlichkeiten. Und hier ist auch die Überraschung: Es beschleicht mich fast das Gefühl, als hätte Milestone für „WRC“ die Engine vom letzten richtigen „Colin“ nur ein wenig auf Vordermann gebracht, um sie Fans nochmal in Form eines neuen Spiels 2010 vorzusetzen. Das kann freilich nicht sein, schließlich stammt die Reihe mit der verstorbenen Legende von Codemasters. Aber die optischen Gemeinsamkeiten sind schon kurios: Fahrt ihr durch Wälder, Eisgebiete oder durch den Schlamm, dann seht ihr oberflächlich kaum einen Unterschied – sogar die detaillierten Fahrzeugmodelle gab es offensichtlich schon 2004 in ähnlicher, wenn auch nicht ganz so detaillierter Qualität wie bei „WRC“. Ich geh sogar soweit und behaupte: „Colin McRae Rally 2005“ macht aufgrund schön abwechslungsreicher Schauplätze innerhalb eines Kurses sogar mehr her als sein neuer Kollege. Das muss man sich vor Augen halten: „Colin“ erschien für die Xbox und wird jetzt auf meiner 360 auf einem HDTV hochskaliert -. und ist trotz offensichtlicher Treppchenbildung (Aliasing) und Schliereffekte nur marginal schwächer als „WRC“. Das spricht sicher für „Colin“ und gegen „WRC“, das einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Im Gegensatz zu den „Dirt“-Teilen stinken beide Spiele sowieso ab, daran gibt es keinen Zweifel. Was die Schadensmodelle der zwei Konkurrenten betrifft, bin ich soweit zufrieden – sie sind glaubwürdig und bei “WRC” auch optisch gut in Szene gesetzt.
Auf dynamische Wettereffekte, Tag/Nachtwechsel und selbst anpassbare Lackierungen müsst ihr so oder so verzichten. Immerhin könnt ihr bei „WRC“ Sponsoren gewinnen, euer Auto damit bekleben und kleine Vorteile erhalten, zum Beispiel einen steigenden Geldbonus beim Gewinnen einer Etappe. Das ist übrigens eine wirklich gute Idee, wie ich finde. Und noch zwei Worte zum Online-Mehrspieler-Modus: Der ist bei „Colin McRae Rally 2005“ nicht mehr benutzbar, da der XBL-Service für alte Xbox-Spiele vor einigen Wochen abgeschaltet wurde. Der bei „WRC“ ist kaum der Rede wert, denn nicht einmal hier dürft ihr mit Freunden live auf der Strecke fahren. Stattdessen geht es einzig und allein ums Ranking in einer Online-Highscore-Liste. Naja, besser als nichts, oder? Ach, eh ich es vergesse: „Colin 2005“ hat einen Splitscreen-Multiplayer parat, „WRC“ verzichtet auf diesen gänzlich. Stattdessen steht „Hotseat“ auf der Tagesordnung. Schwach.
Abschließend noch eine Feststellung: Ich begrüße es, dass ich bei „WRC“ eine weibliche Beifahrerin auswählen kann, die gefällt mir und warnt mich nicht selten vor größeren Gefahren oder gibt auch mal einen lockeren Spruch ab. Bei „Colin“ wirkt der Sprecher unglaublich ernst, rein vom Gefühl her ist dieser mit seinen Aussagen präziser – aber freundlich ist er deswegen noch lange nicht.
Wie sieht nun mein Fazit aus? Ich mag „Colin McRae Rally 2005“, denn trotz des Alters sieht das Spiel nach wie vor attraktiv genug aus, um Spaß an dem anspruchsvollen Rallyspektakel zu haben. Deswegen ist „WRC“ aber keineswegs schlechter, denn hier werde ich als Einsteiger an die Hand genommen, freue mich schnell über die ersten Erfolge und habe dennoch nicht das Gefühl, eine simple Arcade-Raserei zu erhalten. Weitestgehend sind sich beide Spiele erstaunlich ähnlich, und das sehe ich als große Stärke von „WRC“ – vor allem dann, wenn ihr „Colin“ vor sechs Jahren mochtet. Weniger lobenswert ist trotzdem die missglückte Fassade von „WRC“, die technisch vor langer Zeit stehen geblieben ist. Schaut ihr darüber hinweg, dann stecken unter der Motorhaube jede Menge PS, die euch einige Zeit bei der Stange halten werden. Milestone ist also auf gewisse Weise ein guter „Colin 2005“-Nachfolger gelungen, der 2006 sicher für mehr Aufsehen gesorgt hätte als jetzt. Denn zumindest grafisch hat sich seit der aktuellen Konsolengeneration enorm viel getan – und dies beweisen die beiden „Dirt“-Ausgaben fraglos eindrucksvoll.
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