Es ist traurig, dass Spiele heutzutage kaum mehr als Wegwerfartikel sind. Ein paar Wochen nach der Veröffentlichung sind sie in Vergessenheit geraten, die wenigsten Hersteller legen ihre Marketingkampagnen auf Langfristigkeit aus. Schnell konsumieren, es hat einfach keine Zeit zu sein, sich längere Zeit mit einem Stück Software auseinander zu setzen. Kaufen statt genießen. Nicht ohne Grund stapeln sich bei einem Durchschnittspieler die ungeöffneten Titel, und immer wird zur nächsten Software der Begierde gestrebt. Erst Vorfreude schüren, dann kaufen, dann aufs nächste Spiel warten. Unterhaltungssoftware, die ich gerne länger als eine Woche erlebe(n möchte), kann ich an einer Hand abzählen.
Im Fall „Dirt 3“ wollte ich mir ausnahmsweise Zeit nehmen. Ausprobieren und verschiedene Facetten kennenlernen. Außerdem: Die Entwickler von Codemasters steckten viele Monate harte Arbeit in ihr „Baby“ – das wollte ich honorieren. Zufälligerweise stellte ich fest: Die neueste Rallye-Episode eignet sich perfekt für fast alle Spielergewohnheiten und ist in der Lage, auch mehr als ein paar Tage Freude zu bereiten.
Und so beginnt die Geschichte…
Tag 1: Erster Kontakt
„Dirt 3“ ist da! Pünktlich zum Release. Wunderbar! Mit „Colin McRae Rally: Dirt“ hatte ich viel Spaß. Teil 2 nervte mich dagegen mit diesem quietschig bunten und ach wie trendigem Stil. Von einem Rallye-Erlebnis konnte damals kaum noch die Rede sein. Jetzt heißt es laut offizieller Beschreibung, dass sich „Dirt 3“ wieder verstärkt auf Seriosität und Herausforderungen über Stock und Stein konzentriert. Das machte mich neugierig. Voller Erwartungen folgt gleich nach dem Start die Überraschung: Ich soll einen Code eingeben, um Mehrspieler-Funktionen zu verwenden? Hab ich den nicht, darf ich Geld zahlen? Das neue Konzept, das auf gewisse Weise THQ und EA einführten, hat jetzt auch Codemasters übernommen? Gebrauchtkäufer bestrafen? Muss ich nicht gut finden, obwohl ich auf gewisse Weise Verständnis habe. Online-Funktionen verursachen schließlich auch Kosten, die ebenfalls die verursachen, die ein Spiel bei Gamestop oder Ebay erwerben.
Sei’s drum, Code eingegeben. Ich bekomme ja auch noch Geschenke, die sich sichtlich auf der DVD befinden. Denn der Freischaltcode ist nur 100kb groß. Cool: Wie bei „Dirt 2“ kann ich meinen Vornamen auswählen (bei Teil 1 gab’s noch keinen Sven). Diese an sich winzige Kleinigkeit ist clever. So können mich Moderatoren oder fiktive Teammitglieder direkt ansprechen. Perfekte Individualisierung!
Undsonstso? Es ist spät, ich probiere mal ein spontanes Spielchen. Irgendwie muss ich mich ja mit „Dirt 3“ aufwärmen.
Tag 3: Auf der ständigen Suche nach Rallye
Langsam sammle ich Erfahrungen. Die ersten Events sind angenehm einfach, eine vorbildliche Lernkurve servieren mir die Entwickler. Ich kann selbst entscheiden, wie viele Fahrhilfen ich vor einer Herausforderungen aktiviere. Löblich, dass die Designer auf das pseudo-hippe Ambiente des Vorgängers verzichteten. „Dirt 3“ hinterlässt nun einen sehr schicken, fast edlen Eindruck – zum Beispiel in den Menüs. Geblieben ist das Sammeln von Punkten, mit denen neue Rennen freigeschaltet werden. Weitere Vehikel winken auch an jeder Ecke, Achievements lassen mich wie gewohnt kalt. Die gibt’s aber auch, logo.
Die erste Meisterschaft ist schnell erledigt, aber wo sind die angeblich so häufig auftretenden Rallye-Fahrten? War nicht einmal von 60 Prozent Anteil die Rede? Stattdessen macht sich im rasenden Tempo die Ernüchterung breit: Rallycross, Trailblazer, Landrush, fast konventionell wirkende Rennen – sie stehen auf der Tagesordnung. Wenn Codemasters unter Rallye das Fahren auf matschigen Pisten meint, dann dürften die 60 Prozent nicht gelogen sein. Aber die typischen Kämpfe gegen die Zeit, wie ich sie bei „Colin McRae Rally 2005“ oder gar „Rallisport Challenge“ geliebt habe, existieren bei „Dirt 3“ nicht!
Klar, Rallye-Matches sind vorhanden, diese dauern höchstens zwei Minuten vom Start bis zur Ziellinie. Das ist ein Witz! Ein schlechter! Ich bin enttäuscht!
Tag 6: Ich hasse Gymkhana
Mittlerweile habe ich mich beruhigt. Ein wenig. Ja, auch Rallycross und fast alle der mir vorgesetzten Spielarten besitzen ihren Reiz. Bis auf eine Ausnahme: Gymkhana. Das ist ein seltsamer Stunt- und Cruise- Scheiß, den wohl Ken Block höchstpersönlich erfand. Mir egal, ich HASSE Gymkhana. Dieses lästige Herumdüsen, um irgendwelchen unrealistischen Quatsch zu schaffen, nervt gewaltig. Der Clou: Ich habe keine Wahl! Ich muss die Gymkhana-Events irgendwie schaffen, um mit den normalen Rennveranstaltungen fortfahren zu können. Als Gimmick, „witziger“ Zeitverteib oder als Bonus hätte ich Gymkhana akzeptiert – aber als Zwang? Das ist eine bodenlose Frechheit und ein Schlag ins Gesicht für all diejenigen, die sich wie ich nicht für Ken Block interessieren. Ich will von „Dirt 3“ ernsthaft unterhalten und nicht auf die Geduldsprobe gestellt werden.
Kurz vor Abschluss eines für mich x-beliebigen Gymkhana-Stunt-Wettbewerbs schalte ich die Xbox 360 ab. Wutentbrannt und total genervt. Sagte ich schon einmal, dass ich Gymkhana hasse? Ken übrigens auch. Neuerdings.
Tag 12: Ein wenig relaxen
Durch Glück (?) hab ich den Gymkhana-Dreck vorerst hinter mich bringen können, bei den nächsten Großveranstaltungen hab ich aber schon wieder etwas in der Richtung entdecken müssen. Was für eine Qual, was für ein unnötiger Frustfaktor. Und er nimmt in meinen Augen sehr viel von der neu gewonnenen „Dirt 3“-Spieltiefe. Um ein wenig runter zu kommen, hab ich mir heute vorgenommen, etwas zu relaxen. Wir reden hier zwar von einem Rennspiel, doch deswegen muss es nicht anstrengend sein.
Für Blinde, Grobmotoriker und Leute wie mich, die sich mal etwas erholen wollen, hat sich Codemasters etwas Neckisches einfallen lassen: Fahrhilfen. Schalte ich alle ein, inklusive der dargestellten Ideallinie und dem selbständigen Abbremsen bei Kurven, und wähle den niedrigsten Schwierigkeitsgrad, dann düse fast automatisiert über die Strecken. Ich muss nur lenken. Mal links, mal rechts – der Rest ist egal, der Computer übernimmt, korrigiert und lässt mich schlussendlich gewinnen. Was für eine Wohltat, Erfolgserlebnis vorprogrammiert. Zwar hält die Freude nur kurze Zeit, aber ich kann ja im Zweifelsfall eins, zwei Funktionen wieder deaktivieren, wenn es zu billig wird.
„Dirt 3“ ist aufgrund dieses Konzeptes eines wunderbar gelungen: Das Spiel eignet sich für jeden, egal wie unerfahren er in diesem Genre ist. Perfekte Familienfreundlichkeit sozusagen.
Tag 16: Mein neues Lieblingswort ist Redundanz!
Fahren, fahren, fahren. Klar, „Dirt“ ist ein Rennspiel und verfügt über allerlei Arten, sich zu beweisen. Allerdings langweilt mich Codemasters Kreation relativ schnell. Die Schauplätze wiederholen sich nach eins, zwei Stunden. Es sind läppische vier vorhanden. Afrika, Wald in Skandinavien, gelegentlich Schnee und Schlamm. Mein Gefühl sagt mir: Ich rase ständig durch ähnliche Landstriche, mal in umgekehrter Richtung, mal mit minimal abgeänderter Streckenführung. Von echter Abwechslung keine Spur, zumal sich die Meisterschaften sehr ähneln.
Es ist schön, wenn mir etliche Boliden und Fahrzeugklassen vorgesetzt werden, damit können die Entwickler den objektiv nicht vorhandenen Umfang keinesfalls kaschieren. Das führt mich langsam zu einem Punkt, an dem keinen gewaltigen Bock mehr auf „Dirt 3“ habe. Ein Rallye-Spiel lebt für mich durch mannigfaltige Szenarien, auf die „Dirt 3“ konsequent verzichtet. Doof!
Tag 19: Wie wäre es mit etwas Anspruch?
Was für ein stressiger Tag. Aber ich bin fit genug, mich richtig von „Dirt 3“ fordern zu lassen. Also nix wie auf die Piste, alle Fahrhilfen abschalten und den Schwierigkeitsgrad allgemein höher wählen. Puh! Was für ein Stress! Aber spannend! Adrenalin! Hier zeigt sich „Dirt 3“ von seiner simulationslastigeren Seite. Und die rockt. Och bin ganz ehrlich: Als Rennspiel-Noob halte ich das nicht lange aus. Trotzdem fein, dass ich die Möglichkeit habe, mir einen knackigen Anspruch selbst anzutun! Nur an Gymkhana komme ich nicht heran! Der Mist ist für mich unverändert ein Alptraum, den ich am liebsten überspringen würde. Gibt’s einen Cheatmodus oder so?
Tag 23: Auf die Augen
Ich habe das Gefühl, als schweben die Autos auf der einen oder anderen Strecke knapp über dem Boden. Ein wenig seltsam sieht das schon aus. Hübsch wiederum sind die Schneegebiete und das Gefühl für die verschiedenen Bodenbelage. Aber geht es nur mir so? Manchmal fühlt es sich so an, als würde „Dirt 3“ eine weitläufige Map aus einem der letzten beiden „Operation Flashpoint“-Episoden. Der Grafikstil ist dank der identischen EGO-Engine unverkennbar. Wirklich tragisch ist das nicht, denn alles in allem ist „Dirt 3“ fraglos zeitgemäß.
Mich überrascht aber eines: In meinen Erinnerungen beeindruckte mich „Rallisport Challenge 2“ auf der Xbox deutlich mehr. Bin ich schon gesättigt von den visuellen Möglichkeiten heutiger Konsolen? Ich muss mal wieder meine alte Microsoft-Kiste rauskramen und vergleichen. Das brachte mich vor ein paar Monaten zu der Feststellung, dass „Colin McRae Rally 2005“ visuell kaum schlechter ist als „World Rally Championship“.
Tag 27: Lust auf mehr Rally!
Die Luft ist langsam raus aus „Dirt 3“. Alles gesehen, was ich für wichtig erachte. Die Rallye-Events sind zu kurz, die vier Locations besuchte ich oft genug. Es wird Zeit für den Mehrspieler-Modus. Und der taugt auch einen Monat nach der Veröffentlichung sehr. Es sind genügend Mitspieler vorhanden, auf der Xbox 360 stellen mich die Server nicht vor technische Hürden. Und Tatsache: Hier erhalte ich etwas mehr Rallye-Action, wenn ich mich auf diese Veranstaltungen konzentriere. Doch seien wir ehrlich: Jetzt fahre ich nicht mehr eins, zwei Minuten, sondern drei, vier Minuten – aufgrund zwei Rennen hintereinander? Das ist für mich keine ernsthafte Entschädigung! Ich denke aber, hin und wieder beim Multiplayer-Part von „Dirt 3“ vorbei zu schauen. Auf die Solo-Karriere hab ich eh keine Lust mehr. Vielleicht ändert sich das ja wieder? Für ein Rennen zwischendurch ist „Dirt 3“ an sich prima geeignet.
Tag 30:Die Erkenntnis
Alles in allem bin ich mit „Dirt 3“ recht zufrieden. Die technische Seite ist völlig in Ordnung, die KI agiert subjektiv gesehen fairer als früher und der Mehrspieler-Modus, der übrigens auch Splitscreen-Duelle offeriert, ist spaßiger, als zu Beginn angenommen. Inakzeptabel sind aber die leeren Versprechen der Entwickler: Wo ist denn der angekündigte Rallye-Fokus? Eher möchte „Dirt 3“ wieder die eierlegende Wollmilchsau darstellen und mich mit Gymkhana zur Weißglut bringen.
Vier Szenarien empfinde ich auch als Frechheit, vor allem für ein Spiel, das mit dem Aspekt Rallye wirbt. Und der Wegfall von „Kleinigkeiten“ wie das Reparieren des Autos oder Vorhandensein umfangreicher Etappen bei den Rallye-Events ist bedauerlich. Aber auch verständlich, denn „Dirt 3“ ist nun einmal ein Produkt für den Massenmarkt. Das führt zwangsläufig zur Enttäuschung bei den Leuten, die eine Erwartungshaltung aufgebaut hatten….
Danke für diese “Langzeitstudie”. Der Text trift auch meine Gedanken zum Spiel recht gut. Allerdings habe ich das Spiel bereits nach etwas mehr als einer Woche wieder deinstalliert – gerade auch wegen dem Gymkhana-Zeugs und der fehlenden Rallye-Action.