Ubisoft: Riese mit großem Spielerherz?

15. Mai 2014

Die Rollen in der Spieleindustrie sind allseits bekannt verteilt: Die Guten sind all die unabhängigen Entwickler und Softwarehäuser, die Spiele nicht aufgrund wirtschaftlicher Interessen, sondern aus reiner Leidenschaft entwickeln. Die Bösen sind die nahezu allmächtigen Mega-Publisher, die Spiele nur als Konsumprodukt ansehen und jegliche neue Ideen im Spieldesign scheuen, da sie ein zu großes Risiko für den Verkaufserfolg darstellen.

Hauptakteure der „Dunklen Seite“ sind natürlich Activision Blizzard, EA und Ubisoft, die uns Jahr für Jahr mit Veröffentlichungen von Spielen beglücken, deren Inhalt den Produkten vom Vorjahr so ähnlich sind, dass selbst Branchenkenner genau hinschauen müssen, welche Ausgabe gerade behandelt wird. „Call of Duty“, „Battlefield“ oder „Assassin’s Creed“ mögen sich zwar wie geschnitten Brot verkaufen, doch uns passionierten Spielern sind sie angesichts der gezeigten Innovationslosigkeit stets ein Testament dafür, was falsch in der Spieleindustrie läuft.

Typische Kost für Mega-Publisher - "Watch Dogs" (Foto: Ubisoft)

Typische Kost für Mega-Publisher – “Watch Dogs” (Foto: Ubisoft)

Doch einer der großen Drei hat in jüngster Zeit einen bemerkenswerten Weg eingeschlagen: Ubisoft setzt zwar weiterhin auf aufwändige Produktionen wie das bereits erwähnte „Assassin’s Creed“, die Versoftungen aus dem Tom Clancy-Universum oder auch das bald anstehende „Watchdogs“. Aber die Franzosen haben sich klammheimlich als Unterstützer für Spieleprojekte etabliert, die unter normalen Umständen wohl nur mit Crowdfunding à là Kickstarter zu realisieren gewesen wären: Ob Eric Chahi’s Göttersimulation „From Dust“, die Motocross-Herausforderung „Trials“, die komplett abgedrehte „Far Cry 3“-Erweiterung „Blood Dragon“, das steif-charmante Retro-Rollenspiel „Might & Magic X – Legacy“ oder das kürzlich erschienene, spielbare Märchenbuch „Child of Light“ –  keines dieser Spiele hätte ich im Portfolio eines Mega-Publishers erwartet. Doch alle wurden von den Franzosen veröffentlicht und mehr oder weniger stark bei der Entwicklung unterstützt.

Ein Herz für ältere Semester

Man schaue sich nur mal „Might & Magic X“ an: Wer in den 80er- und 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts Computerrollenspiele erlebt hat, kann diesem trockenen, langsamen und teils bockschweren Rollenspiel sehr viel abgewinnen. Jüngere Spieler, denen Namen wie „Wizardry“, „Bard’s Tale“ oder eben „Might & Magic“ kaum ein Begriff sind, dürften hingegen kopfschüttelnd vor dem Monitor sitzen und sich fragen, ob sie einem Scherz auf den Leim gegangen sind. Ich finde es schlicht erstaunlich, dass ein Publisher wie Ubisoft die Entwicklung eines Titels unterstützt, welcher ganz offensichtlich nicht die zahlende Mehrheit der heutigen Spieler anspricht. Es wird auch nur wenige der heutigen Grafikpower-Social-Media-Online-Generation geben, die sich von der konsequenten Retro-Linie von „Might & Magic X“ überzeugen lassen werden. Macht Ubisoft damit tatsächlich den alternden Spielern ein von Nostalgie triefendes Geschenk, ohne sich um Verkaufszahlen zu kümmern?

Retro-Flair anno 2014 - "Might & Magix X - Legacy" (Foto: Ubisoft)

Retro-Flair anno 2014 – “Might & Magix X-Legacy” (Foto: Ubisoft)

Magie

Oder lasst mich ein paar Worte über „Child of Light“ verlieren: Da hockt ein Programmierer in einem der größten Entwicklerstudios der Welt – Ubisoft Montreal. Er werkelt an Franchises wie „Assassin’s Creed“ und „Far Cry“, hegt nebenbei aber den persönlichen Traum, ein 2D-Rollenspiel als Hommage an „Final Fantasy“ und andere japanische Vertreter zu machen. Wenn ich mir das Ergebnis in Form von „Child of Light“ anschaue, erscheint es schwer zu glauben, dass dieses Spiel jemals von der Chefetage eines der großen Publishers abgesegnet wurde. Es ist zu unkonventionell, zu künstlerisch und gleichzeitig zu unspektakulär, um das Bedürfnis nach dem großen Verkaufserfolg befriedigen zu können. Und doch hat es Ubisoft abgenickt und mit allem Drum und Dran veröffentlicht! Dass „Child of Light“ gleichzeitig ein weiteres grandioses Beispiel für die Leistungsfähigkeit der Entwicklungsplattform „UbiArt Framework“ darstellt, dürfte da niemanden stören. Ganz im Gegenteil: Nach der Brillanz der beiden jüngsten „Rayman“-Teile und dem nun mit „Child of Light“ erbrachten Beweis, dass dieses Tool auch andere Genres umsetzen kann, freue ich mich schon auf weitere Exponate.

Hat Ubisoft also wirklich ein Herz für Spieler, inmitten all der Risikoanalysen, Dividenden und Kosten-Nutzen-Vergleiche, die einen solchen Großpublisher üblicherweise auszeichnen? Mir scheint es zumindest so, dass sich die Franzosen nachhaltig anders darstellen wollen, als ihre unmittelbaren Kontrahenten. Natürlich lassen sich solch Liebhaberprojekte nur dann unterstützen, wenn das nötige Kleingeld vorhanden ist, doch das dürfte bei Activision und EA ebenfalls der Fall sein. Nur will mir trotz intensiven Nachdenkens kein Titel aus der jüngsten Zeit von diesen beiden Publishern einfallen, die derartige Nischenprodukte darstellen wie die beschriebenen von Ubisoft.

Das "Child of Light" im Märchenland (Foto: Ubisoft)

Das “Child of Light” im Märchenland (Foto: Ubisoft)

Vor wenigen Jahren habe ich mich noch furchtbar über Ubisoft aufgeregt, da sie mit die ersten Unternehmen waren, die für ihre Spiele den „Always online“-Kopierschutz eingeführt hatten. Meine damalige Testerfahrung zu „Silent Hunter V“ lässt mir heute noch das Blut in den Adern hochkochen. Doch durch ihre aktive Unterstützung von ungewöhnlichen, innovativen, sperrigen und an sich unpopulären Spielkonzepten – wodurch sie auch immer motiviert sein mag – nehmen sie für mich momentan einen Platz bei den „Guten“ ein.

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5 comments on “Ubisoft: Riese mit großem Spielerherz?

  1. Zimba Mai 15, 2014

    Weil es sich ausreichend verkauft, um wirtschaftlich sinnvoll zu sein? Weil Ubisoft entgegen den anderen Publishern scheinbar etwas risikofreudiger ist und zudem wohl erkannt hat, dass die AAA Titel auch nicht mehr so die großen Gelddruckmaschinen sein werden?

    Wenn es sich nicht ökonomisch rentieren würde, hätte man vielleicht ein, zwei Titel dieser Art gestartet, es dann aber auch schnell wieder sein gelassen. Um die Liebe von Meinungsmachern ging es Ubisoft sicher nicht.

    • Na ja, vielleicht geht es ihnen nicht direkt um die “Liebe von Meinungsmachern”, aber dann doch um eine andere Art, auf sich aufmerksam zu machen. Gerade wenn man sich das Gehabe von den anderen großen Publishern anschaut und wie hier manches Franchise ganz offensichtlich bis zum letzten ausgepresst wird, um noch Profit zu machen, fällt die Linie von Ubisoft hinsichtlich dieser kleinen, aber feinen Spiele doch umso mehr positiv auf.

      Es ist sicherlich so, dass es letztendlich auch nur um Profit geht – und das ist auch in Ordnung so, denn anders funktioniert ein Publisher nunmal nicht. Aber für mich beweist der derzeitige Weg von Ubisoft, dass man Profit auch anders machen kann als nur zu schauen, wie ich die Spieler noch ein bisschen mehr “melken” kann. Ich kann eben doch auch wieder ein bisschen Leidenschaft und Risikobereitschaft zeigen, um immer noch Erfolg zu haben, und erreiche damit gleichzeitig, dass ich als Publisher nicht mehr als der große, ideenlose Buhmann da stehe.

  2. Ich begrüße den Weg, den Ubisoft einschlägt. Die großen Publisher haben nämlich ein Problem. Früher hatten sie nicht nur zwei, drei starke Marken sondern gleich ein gutes Dutzend Titel im Portfolio. Aber das lässt sich heute nicht mehr realisieren, zu teuer die Entwicklung, weswegen man sich auf seine Kernserien verlässt. Aber eben auch versucht neue Geschäftsfelder zu erschließen.

    Dabei geht man durchaus nicht planlos vor, wenn es um die Umsetzung kleinerer bzw. sehr günstiger Titel geht. Nintendo erreicht selbst mit dem x-ten 2D Mario und selbst auf großen Konsolen Millionenverkäufe? Ergo macht man ein Rayman, natürlich auch, weil Michel Ancel ein langjähriger hoher Angestellter ist, der schon ewig quengelt, dass doch endlich zu tun. Gleiches Spiel bei Might & Magic X: Großer altbekannter Name, aber Legend of Grimrock verkaufte sich mal eben 800.000 Mal. Mit dem Namen und einem vernünftigem Team muss da doch was raus zu holen sein.

    Nicht falsch verstehen, Firmen wollen und sollen gefälligst auch mit ihren Spielen verdienen. Und was Ubisoft da macht ist auch in meinen Augen eine tolle Sache. Jedenfalls unendlich besser, als das was EA mit seinen Handyspielen und Mikrotransaktionen abzieht.

  3. Dick Horner Mai 16, 2014

    Lieber Sebastian,
    Always on, uplay, quasi jedes Release ein Bugfest, viel zu frühe Abschaltung der Masterserver beliebter Multiplayer-Titel, Schändung der Tom Clancy-Lizenz, Beerdigung des Genres der Taktik-Shooter als solches usw. usf.
    Das ist es, wofür ubisoft für mich steht.
    Ein funky Addon für einen AAA-Titel, die Wiederbelebung einer der größten Marken der 90er, pseudokünstlerische Titel aus dem Baukasten, das sind für mich weder Beispiele für ein großes Herz für Spieler noch für besonderen Wagemut. Entwicklungsaufwand wie unternehmerisches Risiko dürften sich in jedem Fall stark in Grenzen halten.
    Nein, es ist vielmehr der Versuch, Ansätze der Indie-Szene und Trends, die sich in Crowdfunding-Projekten als erfolgreich erwiesen haben, so en passant mitzunehmen.
    Das macht ubisoft nicht zum Riesen mit großem Spielerherz.

    • Lieber Dick,

      all die Sachen, die Du – berechtigterweise – als Negativpunkte auflistet will ich auch gar nicht bestreiten, wie auch mein Bemerkung hinsichtlich “Silent Hunter V” aufzeigen sollte. Allerdings stehen diese Vergehen eben nicht exklusiv für Ubisoft.

      Was für mich sehr wohl exklusiv bei den Franzosen zu finden ist, ist eben diese Fokussierung auf etwas andere, kleinere, Indie-ähnlichen Spielprojekte. Ich frage mich halt auch, warum es denn dann andere nicht machen, wenn sich Aufwand und Risiko anscheinend so in Grenzen halten. Klar wird sich das alles schlussendlich rechnen und das Risiko wird mehr als kalkulierbar sein, aber genau das dürfte doch bei Activision, EA und Konsorten auch der Fall sein.

      Anders formuliert: Ubisoft hätte das Ganze doch schlussendlich gar nicht nötig, macht es aber trotzdem! Und daran können – aus meiner Sicht – eben nicht nur typische Überlegungen hinsichtlich Wirtschaftlichkeit etc. eine Rolle gespielt haben!