Es ist jedes Mal das Gleiche: Sobald etwas beliebt wird oder einen Trend verursacht, kriechen von überall die Nachahmer aus ihren Löchern. Selbst die ehrenhafte Indieszene bleibt nicht verschont: Die Anzahl der auf Retro geeichten Jump&Runs, Arcade-Games oder Strategietitel ist dramatisch angestiegen. Was auf den ersten Blick total knuffig und artsy aussieht, entpuppt sich immer öfters bei genauerem Hinsehen als genau so uninspiriert wie der hundertste Weltkriegsshooter. Erde an Rebellen: Es reicht nicht, ein paar Männchen zu pixeln, die nach NES oder C64 schreien! Jedes Spiel benötigt eine gesunde Portion Kreativität – und im Idealfall sollte es nur oberflächlich “alt“ aussehen.
Ein Traum
“Super Time Force“ (derzeit für Xbox One sowie Xbox 360 erhältlich) ist ein Traum für jeden Retrofetischist. Ganz wie in den Klassikern “Gunstar Heroes“, “Turrican“ oder “Probotector“ lauft, hüpft und ballert ihr in der klassischen Seitenperspektive von einem Endboss zum nächsten. Die Tagline verspricht ein Koop-Feeling für Solo-Spieler – und im Gegensatz zu anderen Worthülsen vergleichbarer Art ergibt der Satz diesmal richtig Sinn.

Nein, das ist keine Screenshot-Collage, sondern ein ganz normaler Alltag für die “Super Time Force”.
Die Geschichte beginnt mit einem nerdigen Professor, der jubelnd seine Arme nach oben streckt: Endlich habe er eine Technologie erfunden, die Zeitreisen möglich macht. Doch seine Freude währt nicht lange, denn wenige Sekunden später ist die ganze Welt zerstört. Der Professor erhält Besuch von seinem eigenen, älteren Ich, das inzwischen als hoch dekorierter Pseudo-General mit zwei (!) Augenklappen nach Ruhm und Ehre giert. Gemeinsam mit seinen drei Söldnern verspricht er, die Katastrophe gerade zu biegen – egal wie viele Zeitsprünge hierfür notwendig seien.
Gewöhnlich? Ach, was!
Bereits das Tutorial zeigt, wie außergewöhnlich “anders“ “Super Time Force“ ist: Abseits der klassischen Spielmechanik könnt ihr jederzeit die Zeit anhalten und á la “Braid“ zu einem beliebigen Zeitpunkt in der Vergangenheit zurückspulen. Habt ihr euch für eine Stelle entschieden, dann wählt ihr wie zu Beginn eines Levels eine neue Spielfigur aus und könnt entsprechend mit ihr weiter ballern. Die “alte“ Figur bleibt dabei erhalten und agiert exakt so, wie ihr sie zuvor gesteuert hattet. Der Trick lässt sich so oft wiederholen, bis euch eure Zeitsprünge ausgehen – wobei pro Levelabschnitt mindestens 30 zur Verfügung stehen. Demnach könnt ihr selbst den zähsten Endgegner in Windeseile zu Brei schießen, indem ihr eure Kämpfer wieder und wieder dupliziert. Zudem ist das Zeitlimit stets sehr knapp bemessen, weshalb ihr einen fast perfekten Lauf benötigt und diesen wiederum prima Stück für Stück per Zeitreise-Feature zurecht biegt.
Es wird noch besser: Rennt ihr gegen einen Gegner oder ein Geschoss, dann stirbt euer Recke und löst automatisch einen Zeitsprung aus. Wenn ihr bei eurem Neuversuch den so eben erlittenen Tod auf irgendeine Weise verhindert (z.B. indem ihr den Feind, der ihn verursacht hat, frühzeitig aus dem Weg räumt), dann habt ihr euer Alter Ego “gerettet“. Weil der betreffende Soldat keine weiteren Kommandos von eurer Seite kennt, bleibt er stur an der Stelle stehen, wo er eigentlich gestorben wäre. Er scheint auf den ersten Blick völlig nutzlos zu sein. Sammelt ihr ihn jedoch ein, dann verschmilzt er mit eurer derzeit aktiven Figur und verstärkt euer Waffenequipment.
Die Söldner unterscheiden sich nebenbei bemerkt nicht nur optisch, sondern auch spielerisch. Während zwei von ihnen recht gewöhnliche Fernkampfwaffen tragen, besitzt der dritte einen simplen Schild. Den kann er entweder zum Schlagen oder zur Abwehr einsetzen, sei es zu seinem eigenen Schutz oder um einen Kameraden per Zeitsprung vor dem “zukünftigen” Tod zu bewahren. Im späteren Spielverlauf lernt ihr weitere potentielle Kämpfer kennen, darunter einen dunkelhäutigen Lichtschwertschwinger und einen schlagkräftigen Dinosaurier.
“Dinosaurier? Bitte, was?“ – Richtig gelesen: Die anfangs beschriebene Katastrophe negiert ihr bereits nach einem Level, danach wählt ihr zwischen fünf völlig verschiedenen Zeitepochen, um auf irgendeine Weise die Vergangenheit oder die Zukunft zu manipulieren. Letztlich stehen euch weitere epische Aufgaben zur Verfügung, in denen ihr beispielsweise den Untergang des sagenumwobenen Atlantis verhindert oder eben die Dinosaurier vor einem alles vernichtenden Asteroiden schützt.
Übertrieben? Gut so!
Unterm Strich ist die gesamte Story von “Super Time Force” völlig überzogen und bewusst wirr geschrieben. Anstatt beispielsweise die möglichen Paradoxen zum Thema Zeitreisen in irgendeiner Form zu erklären, treibt es “Space Time Force“ vielmehr auf die Spitze und karikiert die Thematik bis zur Unendlichkeit.
Nach all dem Lob fragt sich der Stammleser: Heute kein Gemecker? Nicht ganz: Das Charakterdesign ist schlecht ausbalanciert. So lustig die Idee mit dem Schildträger ist, so klar im Nachteil ist er beispielsweise gegenüber der Scharfschützin, die mit ihrer Wumme durch die dicksten Wände ballert und somit hervorragend zum “Aufräumen“ geeignet ist. Zudem funktioniert bei den meisten Endgegnern die immer gleiche Massenschlachttaktik, bei der ihr einfach eure Soldaten zig-fach kopiert. Dabei schreit das Spiel gerade hier aufgrund seiner cleveren Prämisse nach Taktikgefühl anstatt Brachialgewalt. Immerhin: Nach dem ersten Durchlauf steht euch der Super-Hardcore-Modus zur Verfügung, der das Kopieren von gefallenen Söldnern verbietet – außer wenn ihr sie per Zeitsprung irgendwie retten könnt. Aber so nett die Idee klingt, so sehr fühlt sie sich wie eine “Notlösung“ an, mich als Spieler zum Steuern der schwächeren Charaktere zu nötigen.
In allen anderen Punkten möchte ich mich vehement gegen die kritischen Stimmen stellen, die mir unter die Augen gekommen sind. Wer “Super Time Force“ ernsthaft als zu hektisch empfindet, der hat nicht wirklich gerafft, dass ich beim Initiieren eines Zeitsprungs in aller Ruhe vor und zurück spulen darf – eine bessere Form der Situationsanalyse geht nicht. Unterm Strich empfand ich das Spiel auch als zu leicht anstatt zu schwer – und das in einem Lebensalter, in dem die Reflexe bei weitem nicht mehr mit denen eines “Call-of-Duty“-Zöglings mithalten können.
Und vermutlich bin ich deshalb so begeistert, weil ich die perfekte Zielgruppe für “Super Time Force“ repräsentiere. Es sieht aus wie ein Spiel aus der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, punktet aber im gleichen Moment als ein völlig neuartiges Actionspektakel.
tl;dr: “Super Time Force” ist eine dieser ultimativen Symbiosen aus Retro und Indepenent, die dem Ruf beider Gruppierungen einen immensen Gefallen erweisen. Bitte mehr davon.
“Es sieht aus wie ein Spiel aus der Zeit, in der ich aufgewachsen bin … ”
Genau hier und beim Begriff “Retrolook” möchte ich vehement widersprechen! Denn ich finde, diese Spiele sehen eben absolut NICHT so aus, wie die Games damals! Sie mögen auf “Pixellook” getrimmt sein, das war es aber auch schon. Die Spiele früher hatten tatsächlich nämlich wesentlich weniger Pixel (geringe Auflösung) aber sahen gerade nicht so pixelig aus. Das war sicherlich zum Teil den Fernsehern und Röhrenmonitoren zu danken aber auch heute im Emulator sehen diese Spiele quasi alle anders aus.
Wobei jedes System aus der 8 und 16 Bit Zeit auch noch einen eigenen Look hatte. Oft konnte man mit einem Blick erkennen, welche Version auf welchem System man vor sich hatte. Den heutigen Retrospielen geht dieser Erkennungsfaktor völlig ab, die meisten sehen halt eben nach PC aus, allerdings eben nicht wie alte DOS PC Games a la Commander Keen sondern eben als wenn sie mit RPG Maker oder einem anderen Game Studio / Maker erstellt wurden, die es ab etwa Mitte 90er für den PC gab.
Von daher habe ich persönlich ein Problem. Für mich ist das alles nämlich KEIN Retrolook! Sondern meist einfach nur “Billig-Grafik”, die weit, sehr weit, vom Charme und der Qualität eines Turrican im Emu entfernt ist.