Super Mario: Nennt. Es. Nicht. Hüpfspiel.

18. August 2015

Wenn um den 13. September 2015 herum der 30. Geburtstag des Spiels “Super Mario Bros.” gefeiert wird, werden sich Feuilletons, Spielemagazine und Blogs mit ihrem Lob zum NES-Klassiker überschlagen.

Kein Zweifel: “Super Mario Bros.” war so wegweisend wie sonst nur eine Handvoll anderer Titel. Und doch werden die zumeist aus Wiki-Seiten schlecht recherchierten Lobhuldigungen Plattitüden und Fehler in bester Stille-Post-Manier übernehmen und hässliche Wörter einbauen. Hüpfspiel etwa. Oder – Macht der Gewohnheit – Jump’n’Run.

Wirklich ein “Hüpfspiel”?

Dabei ist die Genre-Zuordnung im Fall von “Super Mario Bros.” schlichtweg falsch bzw. wird sie diesem Titel und seinen Nachfolgern nicht gerecht. Meine Meinung, die ich begründen mag. Um dies zu tun, muss ich etwas weiter ausholen. Beginnen wir mit Marios erstem Auftritt, damals noch als Jumpman im Arcade-Automaten “Donkey Kong” (1981). Im englischen Sprachraum wird für diesen gerne die Zugehörigkeit zum Plattformer hergestellt – was das sein soll, könnt ihr euch auf YouTube am Beispiel von “Space Panic” (1980) anschauen.

Marios frühe Auftritte in "Donkey Kong" (links) und "Mario Bros." (rechts) waren unterhaltsam, boten aber wenig zu entdecken. (Bild: Polygamia)

Marios frühe Auftritte in “Donkey Kong” (links) und “Mario Bros.” (rechts) waren unterhaltsam, boten aber wenig zu entdecken. (Bild: Polygamia)

Plattformen, Leitern und ein umherirrendes Alter Ego waren Markenzeichen von “Space Panic”. Dem fügte “Donkey Kong” rollende Fässer, wandernde Flammen, wild gewordene Sprungfedern und einen Hammer als Spezialfähigkeit zu. Wichtiger noch: Der Held konnte auf Knopfdruck springen. Und damit locker jedes Hindernis nehmen – gutes Timing vorausgesetzt.

1983 folgte mit “Mario Bros.” das erste nach Mario benannte Arcade-Spiel, in dem die Hüpfmechanik noch stärker in den Vordergrund gerückt wurde. Das Spielfeld variierte nicht, verließ es einer der beiden Spieler beispielsweise am linken Bildschirmrand, kam er rechts wieder hinein gewackelt. Die Gegner, darunter Fliegen und die serientypischen Schildkröten, waren die einzige Abwechslung.

Nun aber der Sprung. Auf dem NES war “Super Mario Bros.” ein Spätstarter, kam das Modul doch reichliche zwei Jahre nach Veröffentlichung der Plattform auf den Markt, eben am 13. September 1985. Technisch beeindruckte es durch geschmeidige Animationen und ein ebenso butterweiches Scrolling, das aus anderen Hüpfspielen (z.B. “Pitfall”) bekannten, bildweisen Wechsel der Hintergründe endgültig ablöste. Dies erlaubte den Designern nicht nur das stärkere Gefühl einer zusammenhängenden Welt, in der es Klempner Mario verschlug. Vielmehr konnte die Schar um Serienvater Shigeru Miyamoto unzählige Geheimnisse verstecken: Räume voller Münzen, Abkürzungen, unsichtbare Blöcke, Extraleben. Wer stur von links nach rechts latschte und mechanisch ein Schloss nach dem anderen kaperte, erlebte kaum mehr als die Hälfte des Spiels. “Super Mario Bros.” richtete sich deshalb an Entdecker, welche die Welt bis zum letzten Winkel erkundeten und dem Spiel all seine Geheimnisse zu entlocken versuchten.

Schon das erste Super Mario Bros. brachte eine Tonne an Geheimnissen mit. (Bild: Polygamia)

Schon das erste Super Mario Bros. brachte eine Tonne an Geheimnissen mit. (Bild: Polygamia)

“Super Mario Bros.” machte dem Spieler ein Angebot, das er annehmen konnte – das gilt im Wesentlichen auch für jenen zweiten Teil, der im Westen erst auf dem Super Nintendo als “The Lost Levels” Premiere feierte. Auf das stark verfremdete “Doki! Doki! Panic” möchte ich deshalb nicht eingehen, weil es einer anderen Spielreihe zugehörig ist. Aus Sicht Shigeru Miyamotos war es eh unbefriedigend: “Super Mario Bros.” und sein Nachfolger waren fast ident zueinander und die Unterscheidungsmerkmale an einer Hand abzuzählen. Ein Giftpilz und die (drastische) Erhöhung des Schwierigkeitsgrades waren nun kein kreativen Ausrufezeichen.

Alles oder nichts – Super Mario Bros. 3

Es stand für Nintendo zu diesem Zeitpunkt alles auf dem Spiel. Zwar waren die Absatzzahlen des NES/Famicom großartig und die dazugehörigen Spiele verkauften sich in Millionenauflage. “Super Mario Bros.” (das japanische Original) zeigte, dass das feste Set an Regeln (die unausweichliche Bewegung von links nach rechts im Level, das Zeitlimit, die spärliche Gegnerauswahl und drei bzw. vier Extras) in eine Sackgasse führen konnte. Eine, in der sich bereits “Pong”, “Space Invaders” und “Pac-Man” tummelten. In selbiger Sackgasse waren außerdem Atari und das Magnavox verscharrt.

Für Shigeru Miyamoto war es sein bis dahin hervorragender Ruf als Künstler, der unter der Schwemme der 08/15-Spinoffs litt. Die Tragik des Kreativschaffenden besteht gemeinhin darin, sich und seine einst revolutionären Motive endlos zu wiederholen und nach einer Phase der banalen Austauschbarkeit ins Parodistische abzudriften, in dem nur noch vom Mythos eigener Vergangenheit zu zehren. In diesem Abschnitt sind “neue” Werke wenig mehr als blasse Abzüge früherer Geistesblitze. Dennoch ist es für den Künstler geradezu identitätsstiftend zu wissen, was seine Markenzeichen sind und sie zu bewahren.

Der dritte Serienteil war mehr als nur ein Aufguss - es war eine Revolution. (Bild: Polygamia)

Der dritte Serienteil war mehr als nur ein Aufguss – es war eine Revolution. (Bild: Polygamia)

“Super Mario Bros. 3” musste einen Spagat bewältigen: Einerseits das bestehende (und bewährte) Regelset zu führen und andererseits mit Neuerungen aufzuwarten, welche das Interesse der Spieler aufs Neue auf sich zu ziehen vermochten. Vertraut sind die Sprungmechaniken, die ersten Extras wie der Superpilz, versteckte Räume. Die größte Neuerung zunächst war die Weltkarte, auf der sich die Avatare Mario und Luigi zwischen den Levels bewegen. Statt nun eine Spielstufe nach der anderen abzuschließen, kann der Spieler sich für eine individuelle Route entscheiden, im Pilzhaus um weitere Extras spielen, an einer Lotterie oder einer Partie Memory teilnehmen und den gefährlichen Hammerbrüdern aus dem Weg gehen. Immer neue Routen auf der Weltkarte und in den Abschnitten verpassten “Super Mario Bros. 3” eine Spieltiefe, die andere Jump’n’Runs nicht ansatzweise bieten konnten. Mehr noch, waren die Hüpfelemente lediglich der spielerische Überbau einer Odyssee epischen Ausmaßes. Aus dem optionalen Entdeckerangebot in “Super Mario Bros.” wurde eine Konstante der Spielreihe.

Nahe an der Perfektion

“Super Mario World” perfektionierte die zweidimensionale Entdeckungsreise – in den 1990ern Aufgewachsene erinnern sich womöglich noch an die unzähligen Pausengespräche auf dem Schulhof, die sich um Geheimpfade, den Unendlich-Leben-Level, die Star Road und versteckten Schalterpaläste drehten. Hinzu kamen, wieder einmal, Extras/Power-Ups, die der soliden Basis etwas Neues hinzufügten – ein Cape zum lässigen Gleiten und (natürlich) Yoshi, der heimliche Star des SNES-Debüts. Nintendo vollbrachte gar das Kunststück, die Erfolgsformel für “Super Mario Land 2: Six Golden Coins” auf ein GameBoy-Modul zu pressen, von Yoshi abgesehen.

Der Wechsel mit “Super Mario 64” hin zu 3D war nicht nur aus technischer Sicht ein geradezu wahnwitziger Sprung. Gleichzeitig markierte der Titel die endgültige Abkehr der Reihe vom siechenden Jump’n’Run-Genre. Nach wie vor war das Hüpfen ein Kernelement, doch vieles drehte sich um den erfolgreichen Abschluss spezieller Aufgaben, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Das zentrale Gemäuer, dem alle Levels angeschlossen sind, beherbergt zudem ein Gros der Geheimnisse, die entdeckt werden müssen, um alle 120 Sterne zu sammeln, um das Spiel zu komplettieren (und einen alten Bekannten auf dem Schlossdach anzutreffen). “Super Mario Sunshine” (2002) auf dem GameCube und die “Galaxy”-Titel (2007 und 2010) auf der Wii leben ebenfalls vom dem Drang, etwas in der faszinierenden und stets etwas überdrehten, surrealen Mario-Welt zu entdecken, jeden Winkel zu erforschen und die erlernten Fähigkeiten so einzusetzen, dass neuen Herausforderungen mit der Neugier eines Pioniers in fremden Welten begegnet wird. Dies ist das Kernelement des weitläufigen Genres der Action-Adventures, zu denen ich die meisten “klassischen” Mario-Titel zählen würde, obgleich sie gewisse Elemente stets aufs Neue rezitieren.

Egal ob "Super Mario 64", deer "Sunshine"-Ableger oder der Abstecher in ferne Galaxien auf der Wii: Mario hat mit einem Jump'n'Run nicht mehr viel gemein. (Bild: Polygamia)

Egal ob “Super Mario 64”, der “Sunshine”-Ableger oder Abstecher in ferne Galaxien auf der Wii: Mario hat mit einem Jump’n’Run nicht mehr viel gemein. (Bild: Polygamia)

Ihr erinnert euch an die Aussage mit dem Künstler, der sich stets wiederhole? Nun, eingeschränkt gilt dies für die “New Super Mario Bros.”-Spiele und “Super Mario 3D World” (2013), die vom Vier-Spieler-Modus abgesehen die Nostalgie früherer Teile einfangen und bewusst mit ihnen spielen. Doch auch sie bieten so viel, das entdeckt werden möchte, dass ich – Fanboy, wie ich durchaus sein mag – sie als “Best of” vergangener Tage betrachte.

Deshalb, liebe Autoren der Feuilletons, werte Blogger, “expertisierte” Spielekritiker und pingelige Historiker der interaktiven Unterhaltung: Begreift die “Super Mario”-Spiele als das, was sie sind – Entdeckerreisen voller Geheimnisse in ein weit entferntes Fantasiereich, bei denen das Hüpfen nur ein Element ist.

 

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4 comments on “Super Mario: Nennt. Es. Nicht. Hüpfspiel.

  1. Ein sehr schön geschriebener, inhaltlich richtiger und meines Erachtens nach wichtiger Artikel. Danke dafür.

  2. Danke für den Artikel, auch wenn ich weiterhin Jump’n’Run bzw. liebevoll Hüpfspiel sagen werde.

    Mein erstes Mario war Super Mario World und auch wenn ich nie so der riesen J&R Fan war konnte es mich sehr viele Stunden an den SNES fesseln. Es folgte die Super Mario All Stars Collection und auch mit der verbrachte ich viel Zeit, wenn auch nicht mehr so ausgiebig wie mit World, man merkte schon Mitte 90er, dass die Titel damals ein wenig “angestaubt” waren, jedenfalls im Vergleich zu Mario World.

    Der Quantensprung kam dann mit Mario 64, das ich sehr lange als bestes J&R aller Zeiten gefeiert habe, es gefiel mir sogar besser als Banjo Kazooie, obwohl dieses mehr Inhalte und Abwechslung bot. Erst Jak & Daxter 1 stürzte Mario 64 dann vom Thron. Und J & D 1 ist bis heute mein Lieblings-J&R.

    Mit Mario Galaxy, welches ich mir zugegeben erst kürzlich für meine recht darbende Wii zugelegt habe, weil ich mal wieder Lust auf die Wii hatte, konnte ich mich bisher allerdings noch nicht so recht anfreunden. Jak & Daxter scheint mir einfach inhaltlich einen ganzen Schritt weiter zu sein.

    Die meisten Mario Spiele heutzutage verkneife ich mir allerdings, auch aus Zeitmangel. Mir scheinen die Unterschiede zu früher zu gering. Das Leveldesign mag noch so genial sein, mir fehlt ein wenig das Fleisch auf den Knochen, sprich das Drumherum.

  3. Super Mario ist einfach ein Klassiker und wird auch noch in Zukunft eine Rolle spielen. Was wäre auch Super Smash Bros ohne Mario? ^^ Ich muss aber auch gestehen, dass ich die alten Spiele in 2D einfach besser finde als 3D. Ich kann mich einfach nicht so sehr damit anfreunden. Mario Kart ist das was anderes. Das rockt ^^

  4. Super Mario Bros. 3 ist meiner Meinung nach der beste Kompromiss zwischen den alten Mario-Klassikern und den neuen Spielen wie Mario Galaxy.