Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens: Im Schatten der Vergangenheit

14. Juli 2014

An besonders emotionale Momente erinnert ihr euch auch Jahrzehnte später. Euer Gehirn verknüpft Situation mit Gefühl und speichert so das Erlebte – vielleicht für alle Ewigkeiten. Ich bin mir sicher, dass mich Graf Orlok bis zu meinem Tod begleiten wird.

In die Vergangenheit

Es muss rund 18 Jahre her sein. Die Leute, die ich damals als meine Freunde bezeichnete, hatten eine gute Idee: „Lasst uns doch in ‚Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens‘ gehen. Ist ein Stummfilm von 1921.“ Als aufgeschlossener, (pseudo-)intellektueller, junger Mensch dachte ich mir: Klar, wieso nicht?!

Nosferatu? Ein Erlebnis - mit Live-Musik. (Foto: Universum Film)

Nosferatu? Ein Erlebnis – mit Live-Musik. (Foto: Universum Film)

Es war ein kleines Kino, irgendwo versteckt in einem Hinterhaus und an einem Ort in meiner alten Heimatstadt, an dem ich alles, nur kein Kino erwartete. Ein winziger Raum, einige Sitze, provisorisch eingerichtet. Das war stimmungsvoll, authentisch, etwas mysteriös. In meinen Erinnerungen muss es ein Sommerabend gewesen sein, noch hell draußen. Im Kino dagegen herrschte – natürlich – Dunkelheit. Schon beim Reingehen. Wir nahmen Platz, irgendwann ging es los. „Nosferatu“ also. Von Friedrich Wilhelm Murnau, der Bram Strokers „Dracula“ als Vorlage nahm, um einen der ersten Vampirfilme überhaupt zu drehen. Soso. Und dann? BÄM!

Am Klavier

„Nosferatu“ war und ist ein Stummfilm, der seine Wirkung nur mit der akustischen Untermalung entfalten kann. Die Kinobetreiber hatten einen Pianospieler engagiert. Der fing das Geschehen auf der Leinwand perfekt ein. Leichtigkeit. Dramatik. Liebe. Leidenschaft. Horror. Angst. Sensationell. Die stellenweise holprige Handlung fiel nicht ins Gewicht. Längen wurden mit eindringlichen Klavierstücken kaschiert, der gefühlte Horror entstand auch im Kopf, der die Melodien mit dem Gezeigten verband. Dieses “kleine”, ja bescheidene Spektakel brannte sich in meinen Kopf. Und dort wird diese Erinnerung bleiben, während das Drumherum von Jahr zu Jahr zunehmend verblasst.

Der freundliche Vampir von nebenan... (Foto: Universum Film)

Der freundliche Vampir von nebenan… (Foto: Universum Film)

Selten habe ich einen Horrorfilm, noch aus dieser Zeit, so intensiv wahrgenommen. Immer wieder nahm ich mir vor, „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ ein weiteres Mal anzuschauen. Vielleicht, um in der Vergangenheit zu schwelgen, in der echt nicht alles besser war? Vielleicht war da auch ein Fünkchen Hoffnung, ich könnte noch einmal einen solch kaum in Worte fassbaren „Flash“ spüren. Die kürzlich veröffentlichte Blu-ray des mittlerweile 93 Jahre alten Werkes befriedigte mich allerdings nicht vollends. Aber das hat einen anderen Grund…

Dracula!

Zur Handlung: In „Nosferatu“ – Eine Symphonie des Grauens” reist der junge, etwas naive Makler Hutter nach Transsilvanien, um dort Graf Orlok zu treffen. Der möchte in der beschaulichen Hafenstadt Wisborg ein Gebäude erwerben. Auf seiner Gruselburg im tiefsten Rumänien scheint es ihm wohl nicht mehr zu gefallen. Orlok besitzt ein düsteres Geheimnis. Seine Leidenschaft für menschliches Blut bekommt Hutter schnell zu spüren. Aber nicht nur das: Das im Sarg reisende Monstrum bringt auch die Pest nach Wisborg…

Kennt ihr „Dracula“ von Bram Stoker – egal ob als Roman oder in den zahllosen Verfilmungen – vernehmt ihr zahllose Parallelen. Logisch, basiert das Drehbuch von „Nosferatu“ ja wissentlich auf der Literaturvorlage. Das führte dazu, dass Stokers Witwe Jahre später Murnau und seine Firma verklagte und fast alle Filmrollen in Deutschland zerstört wurden. Die Hintergründe, die „Nosferatu“ verbirgt, sind wirklich spannend und wurden wunderbar im Booklet der Blu-ray zu Papier gebracht. Alternativ gibt’s auf Disk noch eine einstündige Doku über Murnau, in der sogar Originalschauplätze vor einigen Jahren besucht wurden. Orte in Lübeck, Wismar oder Rumänien existieren unverändert. Da würde ich gerne mal hinfahren. Nunja.

Ein gruseliger Geselle! (Foto: Universum Film)

Ein gruseliger Geselle! (Foto: Universum Film)

„Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ mag aus heutiger Sicht natürlich nicht mehr den gewohnten Horrorfilmkonventionen entsprechen. Die Schauspieler agieren wie in einem übertriebenen Theaterstück, Hutters Frau wirkt hier fast wie ein Zombie. Sie würde eigentlich gut zum Grafen passen. Orlok ist dagegen unverändert fantastisch. Ausnahmslos. Jederzeit! Ich kenne einfach keinen schaurigeren Vampir! Max Schreck wird seinem Namen mehr als gerecht und beeindruckt mich immer wieder, wenn ich ihn in der Gestalt der abscheulichen Kreatur sehe. Auffällig sind, wenn ihr „Nosferatu“ ernsthaft objektiv betrachten wollt, diverse Logiklücken, Filmfehler und ein Storyverlauf, der hier und da ordentlich hakt. Etliche Einstellungen ziehen den Film unnötig in die Länge. Erstaunlich sind dagegen die Perspektiven. Murnau verwendete Weitwinkel-Objektive, die Orte in einem interessanten Licht darstellt. Apropos: Gegenlicht ist auf visueller Ebene ein eher ungewöhnliches Element. Auch in Anbetracht des Alters des Films.

So könnten Makler heutzutage auch aussehen... (Foto: Universum Film)

So könnten Makler heutzutage auch aussehen… (Foto: Universum Film)

Klasse ist fraglos die Bildqualität. Es ist beachtlich, was hier noch aus den alten, in verschiedenen Ländern gefundenen Filmrollen herauszuholen war. Von der Full HD-Auflösung bekommt ihr natürlich nichts mit (die 18 fps stören beiläufig erwähnt nicht). Viel wichtiger ist ohnehin der Ton. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken spielte 2005 basierend auf der Originalmusik die Melodien passend zu den Szenen ein. Mein persönliches Highlight ist die Schifffahrtsszene, aber auch kleine Details (Uhrenschlag z.B.) kommen fein zur Geltung – sicherlich auch dank DTS-HD 5.1 Master Audio-Qualität. Aber das ist ein genau aufgrund meiner Vorbelastung subjektiver Eindruck: So wuchtig ein Orchester und so detailgetreu das Nachempfinden der Vorlage sein mögen – es trifft nicht mein Herz. Sicherlich kann mein kleines Heimkino das schmuddelige Kino von damals nicht ersetzen. Das soll es  nicht. Doch das Flair, das Gefühl in der Magengegend, das gebannte Starren auf die Ereignisse – es stellt sich nicht (mehr) ein. Zugegeben: Es wäre wohl zu viel verlangt gewesen. Vielmehr war es die kleine, naive Hoffnung, die Blu-ray könnte die Zeit zurückdrehen.

Hach…

Wie dem auch sei: „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ möchte ich allen empfehlen, die ein gewisses Grundinteresse für die deutsche Filmgeschichte und damit verbunden auch Stummfilme mitbringen. Ich sehe dieses Drama keineswegs nur als womöglich plumpe „Dracula“-Adaption (auch wenn’s so gesehen wahrscheinlich die erste überhaupt ist), sondern eine Reise in meine persönliche Vergangenheit und selbstverständlich als ein Werk, in dem mehr als nur das Gezeigte steckt. Es ist eine Auseinandersetzung mit den menschlichen (Ur-)Ängsten, allen voran dem Tod. Wie andere Filme aus der Zeit, beispielsweise „Das Cabinet des Dr. Caligari“, ist „Nosferatu“ im Jahr 2014 sperrig, gerne mal anstrengend, theatralisch und irritierend-befremdlich. Öffnet euch und geht unvoreingenommen an diesen Film heran – ihr werdet vielleicht nicht das große BÄM (wie ich beim ersten Mal) erleben, sehr wohl aber ein bedrückendes und unverändert packendendes Schauermärchen.

In anderen Ländern seit längerer Zeit auf Blu-ray - in Deutschland erst seit ein paar Tagen. (Foto: Universum Film)

In anderen Ländern seit längerer Zeit auf Blu-ray – in Deutschland erst seit ein paar Tagen. (Foto: Universum Film)

„Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ von Universum Film ist seit dem 27. Juni 2014 erstmals in Deutschland auf Blu-ray erhältlich. Für die nächste Neuauflage wünsche ich mir die bestimmt amüsante, da nachträglich mit Tonaufnahmen versehene Version namens „Die zwölfte Stunde“. Die gibt’s vermutlich nicht mehr. Befürchte ich. Aufschlussreich ist übrigens die 25 Minuten kurze 8mm-Version von „Nosferatu“, die ihr auf der Blu-ray findet.

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