Emmy-Nominierungen 2012: Das TV-Gegenstück zu den Oscars

21. Juli 2012

Ja, ist denn schon wieder Award-Zeit? Normalerweise verdienen Film und Fernsehen ihre Preise kurz nach Weihnachten, doch eine ganz berühmt-spezielle Verleihung macht da nicht mit: die MTV Movie Awards… nein, war nur Spaß. Ich meine natürlich die Emmys, genauer gesagt die Primetime Emmys. Und die haben just an diesem Donnerstag ihre Nominierungsliste bekannt gegeben – wobei es dieses Jahr nicht mehr und nicht weniger als exakt 100 Auszeichnungen geben soll.

Die beiden heiß begehrten Top-Kategorien lauten “Outstanding Drama Series“ und “Outstanding Comedy Series“, dicht gefolgt von “Outstanding Miniseries or Movie“ (wobei jedoch der Durchschnittseuropäer kaum etwas von den dort prämierten Werken mitbekommt). Ansonsten werden noch allerlei Reality- und Variety-Shows (von “The Amazing Race“ bis „The Daily Show with Jon Stewart“) honoriert, die ich jedoch bewusst hier und jetzt ausklammere – ansonsten wird der Artikel noch voluminöser.

Ein paar Worte zu den Regularien: Berücksichtigt werden Fernsehserien, die zwischen dem 1. Juni und dem 31. Mai im Abendprogramm in mindestens der Hälfte aller Amerikanischer Staaten liefen. Der Grund für diesen Zeitraum ist leicht nachvollziehbar: Die meisten Serienstaffeln fangen im Herbst an und sind gen Mai abgeschlossen. Ausnahmen, beispielsweise die neue Comedy-Serie “Veep“, bestätigen die Regel.

Der Cast von Mad Men kann auf weitere Emmy-Ehre hoffen (Bild: AMC)

Womit ich gleich beim wichtigsten Thema wäre: Entgegen der landläufigen Meinung werden hier keine kompletten Staffeln nominiert und ausgezeichnet. Vielmehr reicht der jeweils zuständige Sender pro Serie sechs Folgen ein, die sich die Mitglieder der Academy of Television Arts & Sciences anschauen. Die Gewinner werden demzufolge anhand eines Bruchteils der gesamten Jahresleistung ermittelt. Der einleuchtende Grund für diesen Kompromiss: Kaum ein Jury-Mitglied hätte die Zeit, sich sämtliche Episoden aller relevanten Serien anzuschauen.

Weiter im Text: Schauspieler, Regisseure und Drehbuchautoren haben natürlich ihre eigenen Kategorien, in denen sie gewürdigt werden. Hier wählt jeder Künstler individuell eine einzelne Episode oder einen zusammenhängenden Zweiteiler aus, in der seine/ihre Leistung seiner/ihrer Meinung nach am besten zur Geltung kommt. In der Tat gab es schon vereinzelte Fälle, woraufhin ein vermeintlicher Sieger mutmaßlich aufgrund einer schlecht gewählten Episode den sicher geglaubten Emmy “verlor“. Noch recht neu und frisch ist der Fall Julianna Margulies vor zwei Jahren: Während alle Welt davon ausging, sie würde die starke Pilotfolge aus “The Good Wife“ einreichen, entschied sie sich seltsamerweise für eine austauschbare Episode inmitten der Staffel.

Überhaupt ist eine Vorhersage der Emmy-Gewinner bedeutend schwieriger zu bewerkstelligen als beispielsweise bei den Oscars. Während dort gut ein Dutzend anderer Auszeichnungen direkt zuvor vergeben werden, liegen die Emmys mit ihrer Show Ende September regelrecht autark. Dazu kommt der bereits angesprochene Zeitrahmen: Solch Vereinigungen wie die Golden Globes. Die Gilden vergeben zwar auch Preise an TV-Highlights, jedoch bewerten diese das Programm von Januar bis Dezember. Dies erklärt beispielsweise, weshalb Ende 2009 die Musical-Serie “Glee“ einen “Best Comedy Series“-Preis nach dem anderen einheimste und ein halbes Jahr später bei den Emmys gegen “Modern Family“ unterlag.

Es gibt eigentlich nur zwei halbwegs verlässliche Konstanten, an die man sich als Emmy-Watcher richten kann: die auffälligen Lieblinge und die ewigen Verlierer. Es ist keine Seltenheit, dass Serien oder Schauspieler mehrmals hintereinander einen Emmy erhalten. Fragt mal Bryan Cranston, der bereits dreimal für seine Leistung in “Breaking Bad“ gewann und erneut als der absolute Favorit gilt.

Ebenfalls ein klarer Emmy-Zögling ist “Mad Men“, gleichwohl es hier rein aus statistischen Gründen spannender ausschaut: Sollte die Serie rund um eine Werbe-Agentur aus den 60er Jahren abermals gewinnen, würde sie in der Kategorie “Outstanding Drama“ mit fünf Siegen einen neuen Rekord markieren. Was im Umkehrschluss heißt: So sehr eine Serie oder ein Schauspieler für eine bestimmte Rolle von den Emmys verehrt wurde, nach dem dritten oder vierten ist dann doch Schluss (außer wenn man “Frasier“, Don Knotts oder Candice Bergen heißt…).

Was die Loser anbelangt: Steve Carell – wir alle lieben ihn und die Amerikaner eigentlich noch viel mehr. So spielte er satte sieben Jahre lang den bewusst fremdschämigen Chef Michael Scott in “The Office“. Wer die Serie nicht kennt: Es handelt sich hierbei quasi um die amerikanische Version vom berühmt-berüchtigten “Stromberg“. Jedenfalls hat Carell trotz seiner großartigen Leistung und seiner hohen Reputation keinen Emmy gewonnen – selbst nicht im letzten Jahr, als er seinen Abschied lang im Voraus ankündigte und mit einer herausragenden Schlussepisode krönte. Er verlor nicht mal gegen einen anderen, ewigen Emmy-Loser, sondern (ganz im Gegenteil) gegen den Vorjahressieger Jim Parsons (Shelden aus “The Big Bang Theory“).

Wer soll Modern Family als beste Comedy-Serie schlagen? (Bild: ABC)

Ansonsten ist eine verlässliche Vorhersage extrem schwer – selbst absolute Underdogs haben eine Chance (siehe Melissa McCarthy in “Mike & Molly“). Manchmal gewinnt eine Serie nahezu alle wichtigen Awards in einem Jahr (“Modern Family”), manchmal kommt den ganzen Abend nix und dann plötzlich die Ehre für die beste Serie (“Mad Men”). Von den genannten Emmy-Lieblingen abgesehen, neigt die Verleihung jedoch eher dazu, die Awards zu verteilen anstatt alles einem Franchise in den Rachen zu schieben. Dies zeigt der relativ magere Rekord von gerade mal neun Emmys für eine Staffel (“The West Wing”, Jahrgang 2000).

Zum Abschluss möchte ich natürlich noch einen Blick auf die diesjährigen Nominierungen werfen, zumindest was die zwei Top-Kategorien sowie ein paar Überraschungen bei den Schauspielern betrifft.

Als “Outstanding Drama Series“ nominiert sind:

Boardwalk Empire (2. Staffel)
Breaking Bad (4. Staffel)
Downton Abbey (2. Staffel)
Game of Thrones (2. Staffel)
Homeland (1. Staffel)
Mad Men (5. Staffel)

Der erste Favorit ist erneut “Mad Men“, nicht zuletzt weil die Serie insgesamt in 16 weiteren Kategorien vertreten ist und damit das Sechser-Feld anführt. Allerdings würde man (wie gesagt) mit einem eventuellen fünften Sieg die Statistik sprengen, zudem die Entscheidung letztes Jahr bereits äußerst knapp ausgefallen sein muss – weshalb sonst ging die Serie in allen anderen Hauptkategorien leer aus?

Im Hintergrund lauert die einzig brandneue Serie, die 2012 mit von der Partie ist: “Homeland“. Sie gewann in ihrer ersten Staffel bereits einige hoch dosierte Preise, darunter den Golden Globe und den Writer Guild Award. Allerdings ist “Homeland“ bei den Emmys mit gerade mal neun Nominierungen nur halb so stark vertreten wie der große Konkurrent.

Darüber hinaus sollte niemand “Downton Abbey“ nicht außer acht lassen. Das britische Historiendrama gewann letztes Jahr in der Kategorie “Outstanding Mini-Series or Television Movie“ und hat für 2012 den Sprung in die (meist qualitativ bedeutend besser bestückte) “Outstanding Drama Series“-Kategorie gewagt. Dies ist möglich, weil eine Staffel von “Downton Abbey“ sieben bis acht Episoden umfasst – damit war sie vormals “klein“ genug, um als Mini-Series durchzugehen und hat gleichzeitig die Mindestanzahl an Episoden parat, um diesmal hier vertreten sein zu dürfen. Auch nicht zu verachten: Mit15 weiteren Nominierungen, darunter sechs für die Schauspieler, hängt “Downton Abbey“ dem “Mad-Men“-Pulk direkt im Nacken.

Würden Sie diesem Mann Drogen abkaufen? Bryan Cranston demonstriert mit das Beste, was das amerikanische Fernsehen zu bieten hat. (Bild: AMC)

Oder vielleicht wird es “Breaking Bad“, die Serie, die viele TV-Junkies so mit als das Beste sehen, was die Menschheit die letzten Jahre auf die Beine gestellt hat. Bryan Cranston und Aaron Paul wurden jedenfalls schon genügend als Schauspieler gewürdigt, zudem stoßen erstmals Anna Gunn sowie Giancarlo Epsoito als nominierte Akteure hinzu. Ergo scheint das doch recht harte Thema und die schonungslose Entwicklung der Charaktere die Wähler keinesfalls zu verschrecken.

Die verbleibenden beiden Serien können jedenfalls froh sein, überhaupt mit dabei zu sein – sowohl “Boardwalk Empire“ als auch “Game of Thrones“ strahlten während ihrer Debütstaffeln mehr Siegeschancen aus und sind diesmal die Außenseiter.

Dann kommen wir noch zur “Outstanding Comedy Series“:

The Big Bang Theory (5. Staffel)
Curb your Enthusiasm (8. Staffel)
Girls (1. Staffel)
Modern Family (3. Staffel)
30 Rock (6. Staffel)
Veep (1. Staffel)

Kein “Community“… kein “Parks & Recreaton“… kein “The Office“… die Fans der intelligent-zynischen Komödienkunst mussten herbe Enttäuschungen einstecken, dafür gelten sowohl “Girls“ als auch “Veep“ als echte Überraschungen – denn wenn man schon mit einer neuen Serien gerechnet hatte, dann eher mit “New Girl“.

So oder so ist diese Kategorie leidlich spannend: “Modern Family“ wird es wieder machen. Die Allmachtstellung im Vorjahr war erdrückend und die Qualität habe nur milde abgenommen, so die Aussagen der meisten Beobachter. Zudem die Konkurrenz recht schwach ist: “30 Rock“ und “Curb your Enthusiasm“ wirken alt, “The Big Bang Theory“ spricht mehr den jungen Nerd als den alten Emmy-Voter an, “Veep“ hat nicht mal eine komplette Staffel hinter sich und “Girls“… tja, da kratzen sich derzeit viele Emmy-Watcher an ihren Köpfen, wie diese dezent umstrittene “Sex and the City in blutjung“ Version überhaupt die benötigten Stimmen sammeln konnte.

“Girls” anstatt “New Girl”: eine mehr als überraschende Nominierung. (Bild: HBO)

Und was war mein persönliches Highlight am Nominierungsmittag? Ganz klar die Kategorie “Outstanding Supporting Actress in a Comedy Series“. Dort gab es nämlich gleich zwei Überraschungen – eine, die so mancher erhoffte, und eine, die niemand ernsthaft auf dem Zettel stehen hatte.

Überraschung Nr. 1: “Desperate Housewives“ wurde von Jahr zu Jahr schlechter, keine Frage – wer aber stets auf gleicher Höhe blieb, das war Kathryn Joosten als alte, keifernde wie liebenswürdige Nachbarin Karen McCluskey. Joosten hat gar bereits ein paar Emmys für die Rolle gewonnen, jedoch in der kaum beachteten “Guest Actress“-Kategorie.

Für dieses letzte Jahr wagte sie zum Abschluss den Sprung und bewarb ihre Rolle erstmals als “Supporting Actress“. Kein Wunder, so (Achtung, Spoiler) stirbt der Charakter am Ende an einer unheilbaren Krebskrankheit. Und jetzt kommt der Tränendrüsenmoment: Joosten selbst ist kurz nach Ausstrahlung des Finales verstorben, ebenfalls an Krebs…

Überraschung Nr. 2: Mayim Bialik. Die Gute spielt in “The Big Bang Theory“ niemand geringeren als Amy Farrah Fowler, der weibliche Gegenpart zu Sheldon Cooper, dem nerdigsten und zugleich intelligentesten Wesen, das die TV-Landschaft je gesehen hat. Amy ist ein einmaliger, wie wahnsinnig witzig geschriebener Charakter, der seit ihrem ersten Auftreten immens an Profil, Charme und Eigenständigkeit gewann. Und Bialik nutzt diese “One-in-a-lifetime“-Rolle mit Bravur.

Damit hätte ich genug gelabert. Ansonsten kann ich derzeit relativ wenig über die Qualität der Nominierungen philosophieren, schlicht weil ich abseits von “Breaking Bad“, “Desperate Housewives“ und einer halben “The-Big-Bang-Theory“-Staffel nichts von dem genannten Kram in der jeweils aktuellen Staffel gesehen habe.

Das wird freilich nachgeholt, weshalb ein zweiter Artikel folgt – Mitte September – kurz vor der Emmy-Verleihung – stay tuned.

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2 comments on “Emmy-Nominierungen 2012: Das TV-Gegenstück zu den Oscars

  1. “Modern Family” verstaubt gerade bei RTL. “Mad Men” wird vom ZDF auf neo (?) verheizt. Na, danke :(