Oscar-Nominierungen 2012/2013: Argo-whatthefuck?

10. Januar 2013

Es ist wieder Zeit für mein ganz persönliches “Guilty Pleasure“: Die Oscar-Nominierung sind raus! Und dies gut zwei Wochen früher als wir es aus den Vorjahren gewohnt sind, um die Zeitspanne zum Ermitteln der Gewinner zu strecken. Eine weitere Traditionen, die gebrochen wurde: Nicht der derzeitige Präsident der Academy las gemeinsam mit irgendeinem renommierten Schauspieler die Nominierungen in den wichtigsten Kategorien vor, sondern der Moderator der Verleihung, namentlich Seth “Family Guy“ MacFarlane. Seite an Seite mit Emma Stone gab er das bekannt, was die ganze Welt eigentlich nicht interessiert und doch irgendwie regelmäßig für Schlagzeilen sorgt.

Und nun bin ich ehrlich zu euch: Ich hatte meinen Text bereits halb geschrieben, bevor die Nominierungen bekannt gegeben wurden. In den wichtigsten Kategorien war man sich ja eigentlich “sicher“, wer wie wo was berücksichtigt werden dürfte. Vor allem waren sich alle “Oscarologen“ einig: Wir werden ein spannendes Rennen zwischen den drei Größen “Lincoln“, “Argo“ sowie “Zero Dark Thirty“ sehen. Das sind die Filme, die den Gesprächsstoff prägen, die von den Kritikern am häufigsten genannt werden und die sich einfach am ehesten nach “Oscar“ anfühlen. Allein die drei Regisseure, namentlich Steven Spielberg, Ben Affleck sowie Kathryn Bigelow, hätten allesamt gleiche Chancen, den Preis für die beste Regie einzuheimsen.

Das ist seit heute 14:30 Uhr Geschichte – schlicht weil Affleck für “Argo“ und Bigelow für “Zero Dark Thirty“ NICHT nominiert wurden. Ich gratuliere schon mal ganz herzlich dem Steven für seinen dritten Directing-Oscar…

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In aller Ruhe hat Lincoln alles im Blick: Steven Spielbergs dritte große Oscar-Stunde? (Bild: Dreamworks)

O.k., ich rudere gleich mal zurück: Wenn ich alle halbwegs wichtigen Award-Shows nehme und zwischen diesen die Schnittmenge der besten Regisseure ziehe, dann müsste der Gewinner urplötzlich Ang Lee für “Life of Pi“ lauten. Er ist nun der einzige (!), der für einen Oscar, für einen Golden Globe, für einen BAFTA (der britische Oscar) und für den Director Guild Award nominiert ist. Ohne mich weit aus dem Fenster lehnen zu wollen: Das dürfte statistisch gesehen das erste Mal so sein.

Stellt sich nur die Frage: Welche drei anderen “Auteure“ haben das Oscar-Rennen nun völlig durcheinander gewirbelt? Da wäre zunächst Michael Haneke für “Amour“. Den hatten einige Experten sogar auf der Rechnung, weil der Mann für eine Oscar-Nominierung längst überfällig war und der Film angeblich bei der Academy richtig gut ankam. Ebenfalls nicht total überraschend kommt die Erwähnung bezüglich David O’Russell, jedenfalls nicht für mich. Die Zeiten, in denen die Academy bei “leichten“ Comedy-Filmen gerne mal den Filmemacher übergeht, sind seit “Juno“ vorbei. Entsprechend freut es mich irgendwie, dass der Mann es für “Silver Linings Playbook“ geschafft hat – obwohl ich ganz ehrlich den Streifen selbst noch gar nicht gesehen hab…

Der fünfte Mann hingegen… der war mal als super-krasser-mega-hyper-fett-Außenseiter vor Äonen im Gespräch. Die Rede ist von Benh Zeitlin für “Beasts of the Southern Wild“ – nominiert für die beste Regie, vor Affleck, vor Bigelow. DAS kam wirklich aus dem Nichts. Man soll ja so was nicht überbewerten, aber wäre ich Zeitlin, ich hätte gerade die tollste halbe Stunde meines Lebens.

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Grund zum Feiern für “Beasts of the Southern Wild”: Mehr erreicht, als jeder Award-Watcher zu philosophieren vermochte. (Bild: Fox)

Diese fünf Filme sind auch als “Best Picture“ nominiert. Dazu gesellen sich (genau wie im Vorjahr) vier weitere Kandidaten: “Argo“, “Zero Dark Thirty“, “Django Unchained“ und “Les Misérables“ (dessen Tom Hooper ja auch mal als der “unumstößlicher“ Frontrunner unter den Regisseuren galt, nur so nebenbei). Insofern ist dieses Feld eigentlich ohne Überraschungen geblieben. Kein “Skyfall“, kein “Moonrise Kingdom“, kein “The Master“ – das waren so die anderen potenziellen Kandidaten, die so mancher auf der Liste hatte. Aber die neun, die es letztlich gepackt haben, decken einen gesunden Konsens der Oscar-Watcher an.

Entschuldigt bitte meinen konfusen Schreibstil, aber hier gibt’s gerade so viel zu verdauen… Ich persönlich musste jedenfalls ein paar herbe Enttäuschungen hinnehmen: Dass “Skyfall“ bei Best Picture nur eine Außenseiterchance hatte, war mir klar. Aber dass die verbrecherisch schöne Musik zu “Cloud Atlas“ ignoriert wurde, tut richtig weh. Überhaupt: Der ganze Film hat null Nominierungen. Da kann ich bezüglich “The Avengers“ fast schon froh sein, dass der zumindest bei den visuellen Effekten untergekommen ist, obwohl eigentlich die tollen Toneffekte in Richtung potenziellem Sieg geschielt haben.

Es gibt auch ein paar schöne Sachen, gerade was mein Lieblingskind “Skyfall“ anbelangt: Zwar sind dann doch “nur“ fünf Nominierungen rausgesprungen, von denen der Film aber ernsthaft vier gewinnen könnte. In Punkto bester Filmsong gilt Adele jetzt ziemlich einsam als Favorit, nachdem Ennio Morricones Beitrag zu “Django Unchained“ über Bord fiel. Darüber hinaus könnte Richard Deakins endlich mal als einer der weltbesten Kameramänner honoriert werden, und auch die Tonabmischer sowie Toneffektkünstler fangen ernsthaft an zu hoffen. Nur Thomas Newman dürfte zum elften Mal im Saal sitzen bleiben: Dass sein James-Bond-Soundtrack nominiert wurde, ist eher eine strittige Überraschung, die nicht viele Freunde finden dürfte.

Ansonsten bin ich wirklich platt. Der spannende Dreikampf um den “Best Picture“-Preis, den ich erwähnte, ist völlig kaputt. Es ist jedenfalls extrem selten, dass ein Film gewinnt, ohne dass der zugehörige Regisseur zumindest nominiert ist. Ganz davon abgesehen ist die Anzahl der Nominierungen für den übrig gebliebenen Vorreiter “Lincoln“ schon ein beachtenswert: zwölf Stück! Und das auch noch ohne Make-Up und Hairstyling!! Der Wahnsinn!!!

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Cooper: “Ey, krass, für den Oscar nominiert, trotz Hangover 2!” – Lawrence: “Ätsch, bin schon zwei Jahre vor dir nominiert gewesen!” (Bild: Weinstein Company)


Löse ich mich von dem Vorgeplänkel und den anderen Award-Shows, dann darf keiner “Life of Pi“ und vor allem “Silver Linings Playbook“ unterschätzen. Ersterer hat auch satte elf Nominierungen geschafft, klar mehr als die meisten vermutet hätten. Letzterer hingegen hat nicht nur Regisseur David O’Russell ins Nominierungsboot gepackt, sondern auch Bradley Cooper, Jennifer Lawrence, Robert De Niro sowie (erneut überraschend) Jacki Weaver. Das sind vier Darsteller für einen Film, plus die ebenfalls sehr wichtigen Kategorien Drehbuch sowie Filmschnitt – macht insgesamt satte acht Erwähnungen. In allen anderen Kategorien hätte das Ding eh absolut keine Chance gehabt. Kamera? Ausstattung? Visuelle Effekte? Wir reden hier von einer Komödie! Ist vielleicht das unser vermeintlicher Sieger, á la Woody Allens “Stadtneurotiker“ anno 1977?

Insofern ist aus dem alten Dreikampf eigentlich ein völlig neuer geworden. “Amour“ werden die Jungs von der Academy ganz klar in Punkto Original Drehbuch sowie Bester Ausländischer Film honorieren. Wobei: Hab ich schon erwähnt, dass in dieser Kategorie ebenfalls ein großer Mindfuck passiert ist, weil das allseits beliebte “Ziemlich beste Freunde“ nicht dabei ist? Obwohl (erneut angeblich) viele Academy-Mitglieder den Film richtig dolle mochten? Nein? Sorry, ist hiermit nachgeholt!

Vielleicht macht’s ja am Ende echt der Benh Zeitlin und “Beasts of the Southern Wild“. Wenn schon die Regie-Nominierung bei herausgesprungen ist, wer weiß, was sonst noch passiert? Seine Hauptdarstellerin mit dem für den gemeinen Europäer unaussprechlichen Namen Quvenzhané Wallis darf sich ebenfalls ein Kleidchen aussuchen – sie ist mit neun Jahren die mit Abstand jüngste, die je in dieser Kategorie zum Zuge kam.

Der heutige Nominierungs-Mittag ist jedenfalls die Fortsetzung eines ungeheuer wie ungewöhnlich spannenden Filmjahres, das sehr viele Highlights intus hatte und bei dem sich alle Oscarologen entsprechend immer große Überraschungen wünschen. Frei nach dem Motto: Dass nicht überall die gleichen Filme immer und immer nominiert werden, sondern jeder irgendwie zum Zuge kommt. Jungs und Mädels: Ihr habt genau das, was ihr wolltet!

Abschließend ein großes Lob an Seth MacFarlane und Emma Stone. Das war mit gebührendem Abstand die witzigste und erfrischendste Form der Nominierungsbekanntgabe, die ich je gesehen hab. Ob sich da ein neues Traumduo in Hollywood etabliert? Und zusätzlich die Gratulation an MacFarlane: Der Mann ist jetzt dank seines Filmsongs aus “Ted“ ein Academy-Award-Nominee! Vermutlich deshalb wurde die Kategorie erstmals im Fernsehen vorgetragen, damit der Mann sich Live vor Millionen von Menschen freuen darf ;)

Hier noch einmal die gesamte Liste:

Best Picture

Amour
Argo
Beasts of the Southern Wild
Django Unchained
Les Misérables
Life of Pi
Lincoln
Silver Linings Playbook
Zero Dark Thirty

Best Director

Ang Lee (Life of Pi)
Benh Zeitlin (Beasts of the Southern Wild)
David O’Russell (Silver Linings Playbook)
Michael Haneke (Amour)
Steven Spielberg (Lincoln)

Best Actor

Bradley Cooper (Silver Linings Playbook)
Daniel Day-Lewis (Lincoln)
Denzel Washington (Flight)
Hugh Jackman (Les Misérables)
Joaquin Phoenix (The Master)

Best Actress

Naomi Watts (The Impossible)
Jessica Chastain (Zero Dark Thirty)
Jennifer Lawrence (Silver Linings Playbook)
Emmanuelle Riva (Amour)
Quvenzhané Wallis (Beasts of the Southern Wild)

Best Supporting Actor

Alan Arkin (Argo)
Christoph Waltz (Django Unchained)
Philipp Seymour Hoffman (The Master)
Robert De Niro (Silver Linings Playbook)
Tommy Lee Jones (Lincoln)

Best Supporting Actress

Amy Adams (The Master)
Anne Hathaway (Les Misérables)
Helen Hunt (The Sessions)
Jacki Weaver (Silver Linings Playbook)
Sally Field (Lincoln)

Best Original Screenplay

Amour
Django Unchained
Flight
Moonrise Kingdom
Zero Dark Thirty

Best Adapted Screenplay

Argo
Beasts of the Southern Wild
Life of Pi
Lincoln
Silver Linings Playbook

Best Editing

Argo
Life of Pi
Lincoln
Silver Linings Playbook
Zero Dark Thirty

Best Cinematography

Anna Karenina
Django Unchained
Life of Pi
Lincoln
Skyfall

Best Production Design

Anna Karenina
The Hobbit: An Unexpected Journey
Les Misérables
Life of Pi
Lincoln

Best Costume Design

Anna Karenina
Les Misérables
Lincoln
Mirror Mirror
Snow White and the Huntsman

Best Make-Up and Hairstyling

Hitchcock
The Hobbit: An Unexpected Journey
Les Misérables

Best Visual Effects

The Hobbit: An Unexpected Journey
Life of Pi
Marvel’s The Avengers
Prometheus
Snow White and the Huntsman

Best Sound Editing

Argo
Django Unchained
Life of Pi
Skyfall
Zero Dark Thirty

Best Sound Mixing

Argo
Les Misérables
Life of Pi
Lincoln
Skyfall

Best Original Score

Anna Karenina
Argo
Life of Pi
Lincoln
Skyfall

Best Original Song

Before My Time (Chasing Ice)
Pi’s Lullaby (Life of Pi)
Suddenly (Les Misérables)
Everybody Needs A Best Friend (Ted)
Skyfall (Skyfall)

Best Foreign Language Film

A Royal Affair
Amour
Kon-Tiki
No
War Witch

Best Animated Feature

Brave
Frankenweenie
ParaNorman
The Pirates (<=auch so was, womit keine Sau mehr gerechnet hat)
Wreck-It Ralph

Best Documentary

5 Broken Cameras
The Gatekeepers
How to Survive a Plague
The Invisible War
Searching for Sugar Man

Best Short Film (Live Action)

Asad
Buzkashi Boys
Curfew
Death of a Shadow (Dood van een Schaduw)
Henry

Best Short Film (Animated)

Adam and Dog
Fresh Guacamole
Head over Heels
Maggie Simpson in “The Longest Daycare”
Paperman

Best Short Film (Documentary)

Inocente
Kings Point
Mondays at Racine
Open Heart
Redemption

Filme mit mehr als einer Nominierung

12 Nominierungen

Lincoln

11 Nominierungen

Life of Pi

8 Nominierungen

Les Misérables
Silver Linings Playbook

7 Nominierungen

Argo

5 Nominierungen

Amour
Django Unchained
Skyfall
Zero Dark Thirty

4 Nominierungen

Anna Karenina
Beasts of the Southern Wild

3 Nominierungen

The Hobbit: An Unexpected Journey
The Master

2 Nominierungen

Flight
Snow White and the Huntsman

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