Das erste “Dragon Age” war ein Monster, das man besiegen musste. Die Fortsetzung ist dagegen nur ein pflegeleichtes Haustier, aber lieben kann man beides.
Wenn man die Rezensionen zu „Dragon Age 2“ liest, könnte man meinen, das Ende des Rollenspielgenres sei angebrochen. So zerreißt zum Beispiel ein Kollege das Spiel und legt noch eine Kolumne nach, aber muss gleichzeitig anerkennen, dass diese Fortsetzung trotzdem „gut“ ist. Die Wahrheit ist, dass „Dragon Age 2“ so ist, wie „Arcania“ gerne gewesen wäre: massenkombatibel, aber auch Profis sollten dem Spiel eine Chance geben.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich vor zwei Jahren auf der Gamescom in einer Pressevorführung von „Dragon Age“ saß. Die Entwickler priesen ihr Spiel als Biowares „Herr der Ringe“ und lobten die unzähligen Entscheidungsmöglichkeiten, etwas großspurig mit „Choice 2.0“ betitelt. Als ich danach mal naiv einwarf, dass ein solches Mammut-Projekt für die heutige Konsolenspieler zu lang und zu komplex sein könnte, schlug mir Unverständnis entgegen. Chef-Designer Mike Laidlaw hielt das für Humbug und war sich eines Erfolgs sicher und ein unbekannter Kollege fuhr mich an: „Are you crazy? That’s what games should be!“. Heute sind wir alle ein bisschen klüger: „Dragon Age“ war ein Kritikerliebling, verkaufte sich ordentlich und ich hatte wochenlangen Spaß damit. Allerdings dürfte die Entwicklung sehr teuer gewesen sein und Biowares „Mass Effect“ – mit einem wesentlich zugänglicheren Spielprinzip – verkaufte sich viel besser. Deshalb haben die Entwickler den Rotstift angesetzt und die Fortsetzung deutlich entschlackt.
Zunächst ist alles ein paar Nummern kleiner. Der Spieler schlüpft in die Rolle eines gewissen Hawke, der zeitgleich mit der Handlung des ersten Teils aus seiner Heimat flieht. In der Stadt Kirkwall gelangt er zu Ruhm, Geld und Ehre und widersteht einigen gefährlichen Abenteuern. Diese Geschichte ist spannend, aber auch ziemlich konventionell erzählt – genau wie der Vorgänger. Allerdings kann man nur Hawke wählen und nicht wie im Vorgänger zusätzlich noch Zwerg oder Elfe. Trotzdem sind jetzt mehr Emotionen im Spiel, denn die Dialoge sind etwas lebhafter als im Vorgänger und in den langen Gesprächen können die Spieler auch diesmal die Handlung wesentlich beeinflussen. Der größte Nachteil gegenüber dem ersten Teil ist die Story aber dennoch, denn es fehlt schlicht und ergreifend die „epische Breite“. Im Vorgänger ging es um das Schicksal einer ganzen Welt, die man als Spieler entscheidend beeinflusst hat und nun ist alles kompakter geworden. Das ähnelt eher einem kurzweiligen Action-Trip, als einem großen Rollenspiel im Stil von „Baldur’s Gate“.
Stichwort Action: Die Kämpfe sind deutlich spektakulärer und dynamischer, aber es ist lange noch kein Action-RPG. Bevor man sich in ein Gefecht stürzt, sollte man sich einige Gedanken über Strategie und Taktik machen. Zugegeben, am Anfang bzw. bis zum Schwierigkeitsgrad „Normal“ sind die Gegner Kanonenfutter. Spätestens wenn Hawke aber im zweiten Akt gegen einen der Boss-Gegner antritt, ist damit Schluss. Allerdings fällt dabei wiederum ein Opfer der Casual-Schere auf: Die Vogelperspektive wurde komplett abgeschafft und so ist es umständlich den Überblick zu behalten. Glücklicherweise ist das „Friendly Fire“, dass im Vorgänger für einige Frustmomente sorgen konnte, abgeschafft und deshalb mein Tipp an „Dragon-Age“-Experten: Gleich in dieser Stufe starten – nichts bringt euch näher an das Original. Außerdem kann man sich weiterhin in den Taktikfeldern austoben und seinen Kämpfern Verhaltensweisen antrainieren.
Talente und Handwerk sind deutlich einfacher zu handhaben. Tränke oder Gifte gibt Hawke einfach als Bestellung auf, wenn er den Rohstoff dazu entdeckt habt – nicht logisch, aber zu verschmerzen. Die Anzahl der Talente hat sich zudem verringert. Zwar kann man wieder in einige Talentbäume investieren und einzelne Talente können jetzt mehrfach aufgewertet werden. „Dragon Age 2“ ist dadurch nach lange kein Leichtgewicht wie „Diablo“ geworden, denn es bietet sich immer viel Raum zum experimentieren. Ärgerlich ist dagegen die Inventarverwaltung, denn nur Hawke kann komplett ausgerüstet werden. Die Rüstungen seiner Gefährten sind praktisch unantastbar und können nur aufgebessert werden. Das ist eine alberne und vor allem unerklärliche Spieleinschränkung. Überhaupt hat man als Spieler manchmal das Gefühl, dass Bioware in der kurzen Entwicklungszeit von einem Jahr etwas geschlampt hat: So macht die Handlung am Anfang einen Zeitsprung von einem Jahr in der Hawke angeblich in Kirkwall zu Ruhm gelangt ist, aber seine Werte und Fähigkeiten haben sich nicht verbessert. Außerdem gibt es am Anfang viel zu lange und uninteressante Dialoge, durch die man sich erstmal durchbeißen muss.
Ich war am Anfang sehr skeptisch als ich das Spiel einlegte und die ersten Stunden waren ein kleiner Kulturschock für mich. Löst man sich aber von den Eindrücken des ersten Teils, fängt man aber an Biowares zweiten Versuch zu schätzen. Der Vorgänger-Bonus ist auch eine schwere Bürde und deshalb werden Hawkes Abenteuer eher bei Spielern Anklang finden, denen „Dragon Age“ zu anspruchsvoll war. Dadurch wird „Dragon Age 2“ noch lange kein herausragendes Rollenspiel, aber Story, Kampfsystem und der Look sind überdurchschnittlich, ohne dass es insgesamt einen Preis für Innovation geben könnte. Die Aussage ein “Mass Effect im Fantasy-Look“ zu sein, trifft durchaus zu. Ob das nun etwas Positives oder Negatives ist, muss jeder für sich entscheiden.
Am Ende bleibt die Frage, was diese „Casualisierung“ eines Schwergewichts wie „Dragon Age“ bringen mag. Tatsache ist, dass diese Designentscheidung der Marke fast alles nimmt, was sie einzigartig gemacht hat. Der erste Teil war ein Spiel der Superlativen: größer, länger und damit anders. Jetzt heitßt es: Zugänglichkeit, statt harter Arbeit und ein (fast) vorgefertigter Held, statt die Qual der richtigen Heldenwahl – das könnte auch irgendein anderes Rollenspiel sein und ich bin mir sicher, dass die Fortsetzung ohne den Bonus des Vorgängers weniger Aufmerksamkeit bekommen würde. Die logische Konsequenz wäre, dass der nächste Teil komplett auf Party-Management verzichtet und die Spieler künftig ohne Gruppe in den Kampf schickt. Für einen alten Genre-Fan spielt dabei etwas Wehmut mit, denn so unterhaltsam wie ich „Dragon Age 2“ fand – die Zeit der klassischen Rollenspiele dürfte damit endgültig vorbei sein. Ich glaube nicht, dass irgendein Entwickler noch einmal so viel Geld und Zeit zur Verfügung hat, um ein Rollenspiel-Monster im Stil von „Dragon Age“ oder „Baldur’s Gate“ zu machen. Darüber zu jammern bringt nichts und nüchtern betrachtet kann man 80 Stunden Spielzeit auch anders nutzen.
Da es gerade reinpasst: Offenbar waehlt Bioware fuer die Fortsetzung doch wieder einen anderen Weg, zumindest was den Umfang der Welt angeht. Alles wird groesser und hoert sich eher wieder wie ein RPG der alten Schule an als das eher action-betonte Geschehen von “Dragon Age 2”!
Mich hat der zweite Teil bislang noch nicht gereizt, was aber ehrlich gesagt auch daran lag, dass ich vom ersten “Dragon Age” letztlich enttaeuscht war. In Teilbereichen war das ein tollen Rollenspiel, aber insgesamt betrachtet gab es zu viele Sachen, die meine Spielfreude getruebt haben: Die Story war viel zu trivial und vorhersehbar, der Gewaltgrad laecherlich und beinahe gefaherlich uebertrieben und der Schwierigkeitsgrad unausgewogen. Letztlich waren die Charaktere das, was das Spiel ausgezeichnet hat – und das ging ja offenbar mit dem zweiten Teil wieder verloren!
Seit “The Witcher” hat es Bioware bei mir schwer, und wenn sie dann nicht eine derart ueberzeugend erzaehlte und toll inszenierte Geschichte wie bei “Mass Effect” abziehen, bei der mir auch die Betonung auf Action die Freude nicht verderben kann, sehne ich mich doch wieder nach den guten alten “Baldur’s Gate”-Zeiten.