Tomb Raider: Eine neue Lara ohne Experimente

24. März 2013

“Tomb Raider“ ist das nächste Mitglied einer inzwischen nervigen Gruppe voller Reboots sowie Neuinterpretationen bewährter Serien. Die Angst vor dem kapitalen Flop schlägt immer höhere Wellen, weshalb nun die letzte Bastion des Kletterns und des Kraxeln fallen musste. Es ist schon witzig: Was ich früher als Action/Adventure-Light bezeichnete, eben weil hinter den Erkundungen und den großen Höhlen kaum nennenswerte Rätsel steckten, gehörte in der jüngeren Vergangenheit zur letzten greifbaren Spieltiefe der modernen Blockbuster-Generation.

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Düstere Aussichten: Im neuen “Tomb Raider” dominieren dreckige Farben. (Bild: Square-Enix)

Aber, aber, wer wird hier gleich in Panik verfallen? Crystal Dynamics und Square-Enix versicherten doch allen Fans, es werde keine stocklineare “Uncharted“-Kopie! Die Gebiete würden genug Freiraum für Entdeckungen garantieren. Und dann ist da doch der Lara-Faktor, der besagt: Wir schauen lieber stundenlang einer jungen Frau als einem Kerl auf den Arsch. Was sagt ihr? Das ist nicht spielrelevant und ganz im Gegenteil einfach nur sexistisch? Verdammt, ein Pro-Argument weniger…

Zurück zur guten Nachricht: Ja, das neue “Tomb Raider“ ist nicht ganz so linear wie “Uncharted“ – ich darf sogar zwischen alten und neuen Arealen via Schnellreisesystem springen. Geheime Schätze und versteckte Grabstätten gaukeln mir ein Abenteuer für den wahren Erkundungsmeister vor – und können trotzdem leider nicht verbergen, dass unterm Strich die Einschränkungen im Vergleich zu den Vorgängern mehr auffallen, als der leidlich höhere Anspruch gegenüber des Konkurrenten.

So sind diese sieben Grabstätten alles andere als gut versteckt und im Kern kaum komplex. Kudos gibt es für das eine oder andere Rätsel – nur habt ihr ein solches gelöst, dann habt ihr bereits die Truhe mit den Goodies in der Tasche. Ein kleines Puzzle und eine Mini-Geschicklichkeitsherausforderung pro Grabstätte: Dies ist das Höchste der Gefühle, was mir Crystal Dynamics mit dem neuen “Tomb Raider“ gönnt. Daran ändern auch diverse, neckische Gadgets nicht, wie beispielsweise die Kombination aus Seil und Bogen. Damit kann ich zwischen zwei vorgegebenen Punkt eine Verbindungsstrecke basteln, jedoch ist es stets mehr als offensichtlich, von wo nach wo. Sprich: Auch diese “Innovation“ nutzt Crystal Dynamics kaum für ein cleveres Rätseldesign, obwohl sie wie dafür geschaffen wäre.

Der Schwerpunkt liegt diesmal eindeutig in der Action, über dessen beispiellos deplatzierte Brutalitätsdarstellung ich mich nicht aufregen darf – diesbezüglich wird sich mein Kollege Sebastian zu einem späteren Zeitpunkt auslassen. Aber immerhin: Die Schießerei funktioniert rein spielerisch gesehen erstaunlich gut beziehungsweise bedeutend besser als im Vergleich zu allen Vorgängern. Dies ist auch immens wichtig, waren doch dort die Actioneinlagen mehr Beiwerk anstatt Hauptgang.

Ebenfalls positiv: Das unerträgliche Gestöhne in den Trailern ist praktisch weg. Zwar labert Lara ständig mit sich selbst (um dem Spieler Tipps zu geben, die er in meinen Augen gar nicht benötigt), aber die Furcht vor einer verzweifelt kreischenden Tussi, die in unglaubwürdiger Art vom unerfahrenen Mädchen zur harten Abenteurerin mutiert, hat sich nicht bewahrheitet. Was nicht heißen soll, dass die Geschichte gut sei. Nein, die Hoffnung auf ein “Tomb Raider“ mit einer halbwegs intelligenten Story habe ich bereits vor 15 Jahren aufgegeben. Trotz des bedeutend ernsteren und düsteren Hintergrunds bleiben die Dialoge flach und die Ereignisse unspektakulär. Zahlreiche Todesfälle sollte man jedenfalls nicht mit dramaturgischer Tiefe gleichsetzen.

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Vom Regen in die Feuerhölle: Laras neues Abenteuer setzt auf Drama und Katastrophen. (Bild: Square Enix)

Schon bei der ersten Ankündigung des Reboots habe ich gesagt: “Tomb Raider“ wird ein Problem haben. Im Prinzip war die Welt vor fünf Jahren noch in Ordnung, als Naughty Dog mit “Uncharted“ einen Konkurrenten für Lara Croft auf die Beine stellte. Die beiden Serien existierten in meinen Augen friedlich wie berechtigt nebeneinander: Die eine sorgte speziell ab dem zweiten Teil für ein cineastisches Erlebnis der Sonderklasse, die andere befriedigte weiterhin meinen Drang nach Klettern, Kraxeln, Hüpfen. Doch dann wurde der Neuling plötzlich sehr stark und der alte Hase fing (mal wieder) an zu schwächeln. Also musste mehr Sicherheit bezüglich Kaufkraft her, dachte sich Square-Enix – weshalb sich die “unterlegene“ Lara dem “überlegenen“ Nathan angleichen muss.

Jetzt ist genau die Gefahr Realität geworden, die viele befürchtet hatten: Das Vorbild ist seinem Nachahmer viel zu ähnlich und muss auch noch dem Vergleich standhalten. Nur wie soll Crystal Dynamics das bitte schaffen? Naughty Dog hat sich zu einem Ausnahmeteam entwickelt, dessen Hang zum Perfektionismus man nicht mal so nebenbei in der Mittagspause kopiert. Es mag sein, dass die “Uncharted“-Spiele keine alternativen Wege oder ausschweifende Geheimgebiete zulassen – aber sie sind durch und durch ausgeklügelt. Da ragt kein Störfaktor heraus, dafür gibt es Adrenalin pur in einer Grafik, gegen welche die Realität wertungstechnisch verliert.

“Boah, der Altenheimer und sein Größenwahn mal wieder…“: Ich meine das ernst. “Uncharted 2“ und “Uncharted 3“ sind für das, was sie sein möchten, so mit die perfektesten Spiele auf Gottes weiter Erde. Da kann ein “Tomb Raider“ doch nur verlieren, wenn es sich dermaßen anbiedert. Mir tun jedenfalls die Jungs von Crystal Dynamics richtig leid: Die haben sich richtig viel Mühe gegeben und ohne jeden Zweifel ein tolles Spiel auf die Beine gestellt. Aber es ist eben nicht SO gut wie der Konkurrent – und gleichzeitig nicht mehr so einmalig wie die alten Serienteile. Denn auch wenn ich hier mehr erkunden darf, so ist das Gebotene ein Witz gegenüber “Tomb Raider Anniversary“.

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Zwar könnt ihr Rehe oder andere Tiere abschießen, jedoch sorgt dieses Element kaum für Spieltiefe. (Bild: Square Enix)

Die Amerikaner tappen damit in die Falle der Austauschbarkeit, obwohl sie rein technisch betrachtet einen echten Sprung nach vorne geschafft haben. Die düster-dreckige Farbwahl passt, die Steuerung ist sehr gut, die Action funktioniert, die Atmosphäre sitzt. Aber gleichzeitig mangelt es mir an Abwechslung und eben an einer echten Herausforderung abseits des stupiden Geballere. Mit Ausnahme eines einzigen, wahrlich epischen Sight-Seeing Moments, gab es für mich keine “Boah, ist das geil!“-Szene. Dafür häuften sich die Situationen, in denen ich instinktiv eine ähnliche aus “Uncharted“ im Kopf hatte.

Und jetzt bin ich noch etwas gemeiner: Jason Graves – kann es sein, dass der Mann Lorne Balfe als den größten Langweiler-Komponisten der Film- und Videospielszene ablöst? Seine Arbeit als Sound-Designer in “Dead Space 1“ war zugegebenermaßen wegweisend und zu Recht von Preisen überhäuft, aber seine Musikwerke wirken gähnend einfallslos und bis ins Mark vergessenswürdig – wie auch im Falle des “Tomb Raider“-Reboots, welches in dieser Hinsicht um Welten hinter dem diesbezüglich überraschend starken “Underworld“-Vorgänger liegt.

“Gut geklaut ist halb gewonnen“ – das ist richtig, nur hat Crystal Dynamics die andere Hälfte vernachlässigt. Man merkt, dass nicht das alte “Tomb Raider“-Konzept in Richtung “Uncharted“ entwickelt wurde, sondern die Entwickler versucht haben, eine direkte Kopie mit wenigen Errungenschaften der vergangenen Serienteile zu verfeinern. Der Reboot ist ein kleines Opfer des Kommerz geworden, doch zumindest kam ein handwerklich gutes Spiel bei heraus. So ein „zweiter Platz“ ist ja eigentlich nicht schlecht – nur wer füllt jetzt die Lücke, die das alte “Tomb Raider“ hinterlassen hat? Ich bitte sämtliche Independent-Designer, nach vorne zu treten….

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2 comments on “Tomb Raider: Eine neue Lara ohne Experimente

  1. Ich mochte Legend, Anniversary und Underworld mit am liebsten, habe alle Teile für PC (Legend auch noch für Gamecube) und denke gerade daran, sie mir noch einmal als HD Collection für die PS3 zu holen. Tatsächlich, so sehr ich Uncharted mag, es ist in erster Linie ein 3rd Person Shooter. Auch das neue Tomb Raider fällt in diese Kategorie. Wirkliche Jump & Runs gibt es ja eigentlich sowieso kaum mehr (ich will mal wieder ein Spiel wie Jak & Daxter 1).

    Ich finde das sehr schade, gerade das (lineare) “Erkunden” und das Rumkraxeln ist das, was ich an solchen Spielen am meisten schätze. Das Ballern war immer nur lästige Pflichtaufgabe und hat mich nie interessiert.
    Ist selbst bei Uncharted übrigens nicht viel anders, so manches Mal habe ich dabei gedacht, “wann ist diese Schießbuden-Sequenz endlich vorbei”?

    Ich weiß nicht, ob die “neuen” Spieler wirklich so sehr auf diese Gears of War Klone abfahren oder ob sie nicht auch mit einem Tomb Raider (oder Uncharted) im Stil von eben TR Legend sehr viel Spaß hätten? Legend hatte ja nun auch nicht wirklich einen hohen Schwierigkeitsgrad sondern es machte eben einfach nur Spaß! Das Dauer-Ballern hingegen ödet mich an, wenn ich sowas will, dann spiele ich doch Gears of War, Binary Domain oder Vanquish.

  2. Kann dem nur beipflichten! Wenn “Tomb Raider” wirklich enttaeuscht, dann ist es in der Balance zwischen Action und Puzzle bzw. Geschicklichkeitstests. Andy hat das wunderbar auf den Punkt gebracht, wenn er sagt, dass Crystal Dynamics zu viel von “Uncharted” abgeschaut und zu wenig auf die alten Lara Croft-Tugenden geschaut hat. Mich regt das ewige Geballere von Nathan Drake naemlich auch oftmals auf, und genau da haette der “Tomb Raider”-Reboot mal eine klare, andere Richtung vorgeben koennen. Leider ist das nicht der Fall, weswegen das Spiel zwar gut ist, aber eben kein echtes Alleinstellungsmerkmal gegenueber “Uncharterd” vorweist.