Sine Mora: Shoot’em-Up-Faszination ganz ohne Pink oder Bullet Hell

4. April 2012

Vor nicht allzu langer Zeit monierte ich die Agenda der modernen Shoot’em Ups: zu viel Bullet Hell, zu wenig Seele, zu sehr austauschbar. Und als ob Grasshopper Manufacture meinen Polygamia-Artikel gelesen hätte (man darf doch wohl mal träumen, oder?), da steht just mit “Sine Mora“ das passende Gegengewicht im Xbox Live Arcade Shop.

Eine Geschichte, die von Rache, Mord, Vergewaltigung und Genozid erzählt – das ist kein prädestinierter Stoff für einen Arcade-Titel. Doch “Sine Mora“ ist bereits hier anders: Zwischen jeder Stage bekommt ihr zur Beschreibung der schwer Steampunk-getränkten Welt gut drei Textabsätze zu lesen, deren Tragik mehr an Zweiter-Weltkrieg-Hollywood-Dramen erinnert. Nehmt noch die ständig wechselnden Protagonisten sowie den einen oder anderen Heldentod hinzu, und ihr habt eine der verwirrendsten wie zugleich faszinierendsten Plots des Genres zur Hand.

Düster, faszinierend, Sine Mora. (Bild: Digital Reality)

Grasshopper Manufacture – das sind doch die Jungs hinter “Killer 7“, “No More Heroes“ sowie “Shadows of the Damned“? Was haben die eigentlich im Download-Only-Segment verloren? Mir soll es recht sein, denn ihr Versuch die alte Garde der Shoot’em Ups in die Neuzeit zu bringen ist ein echter Gewinn. Ihr fliegt die meiste Zeit von links nach rechts durch eine düstere Welt voller grandioser Architektur. Allein die Farbwahl ist äußerst faszinierend, weil sie gleichzeitig sehr vielschichtig und niemals knallbunt ist.

Egal ob Inseln, Wasser, Höhlen oder Gebäudeeinrichtungen: Die Settings vermitteln verdammt viel Authentizität, Originalität sowie Klasse. Hier wirkt definitiv nichts austauschbar, auch weil die Geschosse der Gegner den Bildschirm nur selten bis zur Unkenntlichkeit verdecken. Was nicht heißt, dass “Sine Mora“ ein Leichtgewicht wäre: Einige Passagen sind knallhart und nötigen euch dann doch wie bei einem Bullet Hell-Shoot’em-Up zum Auswendiglernen der fliegenden Kugelhagel. Aber diese befinden sich klar in der Minderheit.

Die Endgegner sind durch die Bank weg ein Gedicht: Sie sind riesengroß und bestehen aus massig Einzelteilen, die ihr Stück für Stück zerschießen müsst. Ihre Ausdauer trifft perfekt die Mitte zwischen “nicht zu leicht“ und “nicht zu schwer“ – eine absolute Seltenheit in diesem Genre. Doch die größte Stärke liegt im Artdesign: Hier verschlagen euch riesige Roboter, mehrteilige Unterwasserboote sowie majestätische Zeppeline regelrecht den Atem. Es ist ein Wahnsinn, was hier an Kreativität in dem Werk steckt, von denen selbst sündhaft teure Ego-Shooter träumen.

Und das ist noch ein kleiner Endgegner… (Bild: Digital Reality)

Auch bezogen auf das Konzepth hat sich Grasshopper Manufacture etwas richtig Originelles einfallen lassen. So gibt es keinen klassischen Lebensenergiebalken und dafür ein zunächst erschreckend nervig wirkendes Zeitlimit. Sobald dieses auf Null rattert, explodiert euer Schiff, ihr verliert ein Leben und müsst vom letzten Rücksetzpunkt aus erneut starten. Abgesehen davon, dass die Zeit kontinuierlich nach unten rattert, verliert ihr bei jedem Feindkontakt ein paar Sekunden. Dafür gewinnt ihr fairerweise welche mit jeder erfolgreichen Zerstörung eines Gegners.

Drückt ihr auf die Schultertaste, dann verlangsamt ihr das Spielgeschehen bis auf Zeitlupeniveau, worin nur ihr selbst euch in normaler Geschwindigkeit bewegt. Dieser Trick kostet allerdings Energie, die ihr ab und an mithilfe eines vorbei fliegenden Extras aufstocken könnt. Im Story-Modus seid ihr auf diese Technik angewiesen, während euch im optionalen Arcade-Modus zwei Alternativen zur Verfügung stehen: ein Schutzschild sowie eine Rückspulfunktion.

Ein weiterer Unterschied der beiden Modi ist der Schwierigkeitsgrad: Dieser ist im Story-Fall moderat und fair, während sich hinter der harmlosen Arcade-Bezeichnung eines der härtesten wie schwersten Shoot’em Ups aller Zeiten versteckt. Da müsst ihr selbst für den ersten Level ewig viel lernen, um ihn mit den mickrigen drei Leben, die euch hier zur Verfügung stehen, zu bewältigen. Ich rate euch ernsthaft: Übt erst einmal kräftig mit dem Story-Modus, ansonsten habt ihr wirklich keine Chance. Allgemein ist das auch die einzige, echte Schwäche von “Sine Mora“, die mir aufgefallen ist: Dieser Härtegrad-Sprung der beiden Modi ist in meinen Augen zu krass.

Ab und an strahlt auch die Sonne in der düsteren Welt von Sine Mora. (Bild: Digital Reality)

Ein komplettes Spiel dauert gut zwei Stunden, was für einen “normalen“ Titel der heutigen Zeit nicht viel wäre, aber für ein Shoot’em Up mehr als ausreichend ist. Der Wiederspielwert ist allein dank der faszinierenden Welt sowie aufgrund der unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade gegeben. Allerdings sei gleich hinterher gesagt, dass bereits jetzt typische Score-Veteranen, die solche Actionspiele allein wegen der Punkte zocken, von “Sine Mora“ enttäuscht sein dürften. Speziell dass ihr beim Anwenden der Zeitlupen/Rückspul/Schild-Option automatisch euren Multiplikator verliert, wird schwer moniert. Ich persönlich kann das nicht wirklich nachvollziehen, eben weil ich kein Hi-Score-Jäger bin.

Doch dafür kann ich den Fans der alten C64- und Amiga-Tage sagen: Greift zu, wenn ihr euch ein Actionspiel á la “R-Type“, “Xenon 2“ oder “Apidya“ wünscht. Hier stehen eindeutig die grafische Gestaltung der Welt sowie deren fesselnden Aura im Vordergrund. Dazu gehört nebenbei erwähnt Akira Yamaokas exzellenter Soundtrack, in meinen Ohren sein bestes Werk abseits “Silent Hill 2“. Seine Melodien sind gewohnt dezent, enorm beklemmend und verbergen im tiefsten Inneren eine sehr interessante Instrumentierung. Ein Jammer, dass es kein Soundmenü gibt, die Musik im Spiel trotz abgeschalteter Soundeffekte bei jedem eingeblendeten Textfenster automatisch leiser abgespielt wird und von einem Soundtrack-Album bislang nichts zu sehen ist.

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One comment on “Sine Mora: Shoot’em-Up-Faszination ganz ohne Pink oder Bullet Hell

  1. Jup, kann ich bestätigen, tolles Spiel, superschwer, aber geil! ;)