Jeder, der gerne spielt, kennt sicher dieses Gefühl beim ersten Kontakt mit einem neuen Stück Unterhaltungssoftware. Ich nenne diesen Beginn gerne Aufwärmphase. Erst dann, wenn ich in eine virtuelle Welt eingetaucht bin, kann ich entscheiden, ob sie mir Spaß oder Stirnrunzeln bereitet. Bei „Micky Epic“ dauerte es ungewöhnlich lange, bis ich mich entscheiden konnte. Erst nach rund zwei, drei Stunden wurde ich „warm“ mit dem aktuellen Werk des berühmten Designers Warren Spector. Von regelrechter Hitze ist trotzdem keine Spur, „Micky Epic“ ist höchstens lauwarm. Das bedeutet glücklicherweise nicht, dass mir der Titel nicht zusagt.
Eventuell liegt es einzig und allein am Anfang von „Micky Epic“, der mir irgendwie nicht so richtig zusagt? Ein etwas seltsames Video erklärt mir, wie ein großer Zauberer – bestimmt Walt Disney höchstpersönlich – eine wundervolle Welt dank eines magischen Pinsels erschafft. Durch Zufall gelangt auch die berühmteste Maus der Menschheit in die Werkstatt des Künstlers und wirbelt durch sein Ungeschick alles durcheinander. Farbe kippt aus und dank einer Verdünnerflüssigkeit wird ein bösartiges Monster geboren, das dieses Fantasy-Reich auf gewisse Weise zerstört. Nach vielen Jahren wird Micky Opfer seiner Taten, als er in das fast ausgelöschte Universum hinein gezogen wird. Dort angekommen muss er sich erst einmal orientieren, aus einem komischen Labor entkommen und den Einwohnern behilflich sein, vielleicht wieder alles zu richten.
So oder so ähnlich geht es mit „Micky Epic“ los, und ehrlich gesagt find ich die Basis für die Geschichte ziemlich doof. Denn als das Spiel damals angekündigt wurde, war von einem finsteren Steampunk-Stil die Rede, der das Abenteuer des kleinen Säugetiers auf erwachsene Art und Weise vermitteln sollte. Zwar ist das fertige Resultat noch immer relativ düster, die Story selbst aber ziemlich banal und für ein junges Publikum verständlich. Vermutlich musste Warren Spector hier Kompromisse eingehen, um den Brötchengeber Disney Interactive zufrieden zu stellen? Wer weiß, Fakt ist für mich nur eines: Die Handlung ist weder erfrischend noch besonders unterhaltsam oder gar ungewöhnlich einfallsreich. Dass auf eine richtige Sprachausgabe verzichtet wurde und mich die albernen Sprachsamples eher an „Mario“ oder eher „Banjo Kazooie“ erinnern, verstärkt meine Meinung, hier ein Story-technisch unausgegorenes Spiel vorgesetzt bekommen zu haben, das sich schwer tut, eine konkrete Zielgruppe ansprechen zu wollen.
Ich möchte (mal wieder) nicht zu hart klingen, zumal „Micky Epic“ im Verlauf an Fahrt gewinnt und tatsächlich interessanter wird. Spätestens dann, wenn ihr in der Main Street angelangt seid, erfahrt ihr mehr über die Einwohner der so genannten Wastelands. Dort leben nämlich ausgediente Comichelden von Disney, darunter der mysteriöse Oswald. Er ist auch das große Charakter-Glanzstück, in dessen Schatten sogar der Protagonist Micky steht. Die Figuren verleihen dem Spiel Leben und – das merkte ich erst nach rund drei Spielstunden – unglaublich viel Charme. Ohne sie wäre „Micky Epic“ nicht halb so spannend und die Motivation ziemlich gering, sich an die zahlreichen Missionen zu wagen, die euch von ihnen aufgetragen werden.
Würde ich die vergessenen Stars früherer Disney-Tage ausblenden, wäre „Micky Epic“ ein teils wirklich ernüchterndes 3D-Jump&Run mit ein paar Geschicklichkeits- und Adventure- Elementen. Allein die Botengänge in der Mean Street sind an Einfallslosigkeit kaum zu überbieten, von den immer gleichen Vorgehensweisen beim Hüpfen und Überwinden von Hindernissen ganz zu schweigen. Häufig wiederholen sich Spielelemente, die wirklich nicht so herausragend sind, dass ich sie mehrfach erleben möchte. Manches erinnert mich entfernt an „Mario Sunshine“, zum Beispiel die Idee mit der Farbe und dem Verdünner: Micky besitzt eingangs erwähnten Pinsel, mit dem er entweder Gegenstände auftauchen oder sie verschwinden lassen kann. Klar, er darf mit ihm nicht die ganze Welt verändern, sondern nur bestimmte Stellen oder Objekte, die von den Entwicklern vorgegeben wurden und gekennzeichnet sind. Kommt ihr an einer Passage nicht weiter, dann müsst ihr entweder mit Farbe um euch spritzen oder genau das Gegenteil tun. Immer und immer wieder. Ebenfalls werden so lustig aussehende Gegner bearbeitet und vernichtet. Zwar ändern sich die Rätsel fortlaufend, letztendlich lässt die Vorgehensweise Abwechslungsreichtum sehr vermissen. Die Wächter, welche euch stellenweise Tipps geben oder euch unter die Arme greifen, machen das Spielprinzip auch nicht fordernder.
Anspruchsvoll könnte ich die Kamera bezeichnen, wenn ich nett wäre. Bin ich eher unfreundlich zu „Micky Epic“, dann nervt diese gewaltig. Dank ihr sterbt ihr an manchen Hindernissen 1000 Tode, verliert die Übersicht oder katapultiert euch im schlimmsten Fall in Sackgassen, aus denen ihr nur mit Glück und einer Extraportion Geschick kommt. Ihr könnt die Perspektive mit dem Steuerkreuz meistens ändern, das ist aber bekanntlich keine komfortable Lösung – nicht bei einem Wii-Spiel. Gegenüber MTV versuchte Warren Spector dieses kleine Debakel damit zu rechtfertigen, dass Micky Epic kein reines Plattformspiel und es eben schwierig sei, eine richtig gute 3rd-Person-Kamera zu realisieren. Hier frage ich mich ernsthaft, ob Herr Spector vielleicht mal bei „Mario Galaxy“ geschaut hat, wie es hätte funktionieren können? Davon abgesehen sehe ich von den anderen Aspekten, die das Micky-Spiel auszeichnen sollten, eh nicht viel.
Da wäre u.a. der Rollenspiel-Teil: Ihr könnt Entscheidungen treffen, die Einfluss auf den Verlauf haben? Ja, stimmt! Allerdings wird euch diese Freiheit vorgegaukelt und mancherorts rückgängig gemacht. Sprich: Ihr tut etwas, was später doch keine Konsequenz hat, weil es das Spiel nicht vorsah. Immerhin wird am Schluss abgerechnet. Wart ihr gut und habt kreativ mit Farbe herumgeschleudert? Oder wolltet ihr liebe die böse Maus sein und habt vorzugsweise den Verdünner missbraucht? Im Vergleich zu einem „DeusEx“ ist diese Freiheit ein schlechter Witz.
Was soll ich nur tun? Ich meckere, nörgle, klugscheiße – wie gewohnt?! Dabei ist „Micky Epic“ trotz infantiler Spielinhalte, fehlender Abwechslung und etlicher Ungereimtheiten wirklich spielenswert. Wieso? Weil die Kreation von Spector ihre Momente hat, bei denen die Spielspaßkurve rasant nach oben steigt. Die Endboss-Kämpfe zum Beispiel haben mir richtig viel Freude bereitet, hier machen die Farb/Verdünner-Dinge wirklich Sinn. Ein subjektives Highlight sind die gelegentlichen 2D-Passagen. Im Stil klassischer Jump&Runs früherer (SNES-)Tage hüpft ihr mit Micky durch grandiose (und leider viel zu kurze) Levels, um ein Ziel zu erreichen. Was würde ich für ein komplettes Spiel in dieser Form geben! Und dann ist da noch der bereits erwähnte Charme, den „Micky Epic“ später wahrlich ausschüttet. Fraglos zollt das Spiel den Disney-Ursprüngen großen Respekt – und das spüre an vielen Ecken und Enden.
Jetzt wäre ich wieder beim „lauwarm“ angekommen. „Micky Epic“ besitzt seine Makel und ist vor allem emotionslos betrachtet eine heftige Enttäuschung. Es ist weder ein besonders gutes Jump&Run noch in irgendeiner Art und Weise etwas spielerisch Einzigartiges. Bei den Vorschusslorbeeren der Vergangenheit hätte ich von „Micky Epic“ eine ganz andere Klasse erwartet. Schaltet ihr jedoch eure Gefühle ein und mögt sowieso Disney-Figuren in jeder Form und Farbe, dann ist das Spiel natürlich eine kleine Erfüllung. Mein Fazit ist daher in einem Satz zusammenfassbar: „Mickey Epic“ ist eine wunderbare Liebeserklärung an die gute alte Comic-Zeit – von Fans erschaffen, für Fans wie geschaffen. Die schauen nämlich nicht so sehr auf die Schwächen…
Übrigens: Die deutsche Übersetzung des Spieletitels ist bescheuert. Ja, wirklich.
Es tut mir ja leid, aber schon wenn ich den Titel höre muss ich denken, dass das Spiel einfach episch sein SOLL (nicht muss).
Aber Micky Mouse ist für mich leichte Unterhaltung, nichts tiefgründiges oder unglaubliches und ganz gewiss nicht episch!