Deadly Premonition: FK… in my coffee

9. Dezember 2010

“Deadly Premonition” sieht billig aus, wirkt unfreiwillig komisch und bisweilen nervt es sogar. Deshalb könnte man es schnell in die Ecke werfen und vergessen, doch ganz so einfach ist es nicht.

Im Kern handelt es sich um eine Open-World-Survival-Horror-Life-Sim aus Japan, die im amerikanischen Nordwesten spielt. Ihr schlüpft in die Rolle des schizophrenen FBI-Profilers Francis York Morgan, der dort einen geheimnisvollen Mord aufklären muss und auf eine ganze Reihe von skurrilen Figuren trifft. So fahrt ihr endlose Strecken ab, trefft in einer Alptraumwelt auf Zombies (oder etwas Ähnliches) und sammelt Spuren durch Verhöre oder fleißiges Geländeabsuchen. Außerdem könnt ihr Nebenaufträge annehmen und in Mini-Spielen wie Darts, Angeln oder Rennen euer Können unter Beweis stellen. Auf dem Papier ein spielerischer Traum, oder?

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Krank? Abstrus? Genial? Wer weiß das schon so genau...

Entwickler Access Games hat stattdessen eines der merkwürdigsten Spiele der letzten Jahre geschaffen und entzweit die Meinungen der Kritiker. Onlinemagazine wie Eurogamer geben dem Spiel 2 von 10 Punkten, andere Magazine wie Destructoid sind voll des Lobs – wenn auch mit Einschränkungen. Das alles hat dafür sorgt, dass der Midprice-Titel zumindest in Übersee zu einem finanziellen Erfolg wurde und einen regelrechten Kult ausgelöst hat, der sogar in einigen Fanvideos auf Youtube gipfelte. Und wisst ihr was? Sie alle haben Recht. „Deadly Premonition“ ist ein Must-Have-Titel, denn es ist genauso schlecht, wie es genial ist. Drei Gründe warum:

Mit einer Frauenleiche fängt alles an.

1. „Deadly Premonition“ ist das hässlichste Spiel dieser Konsolengeneration.

Farben, Kontrast, Framerate – wohl alles Fremdwörter für die Entwickler. Stattdessen erwartet euch eine einzige graue Suppe. Das kann man in manchen Momenten noch als „surreal“ akzeptieren, aber spätestens wenn ihr längere Zeit mit einem Auto gefahren seid, werden euch die Augen durch das Geflimmer schmerzen. Außerdem sind die Charakteranimationen haklig und manche Geste wird oft willkürlich in die Handlung eingebaut. Die Gespräche wirken deshalb wie unbeholfenes Puppentheater. Wenn ihr das alles überstanden habt, kommt dann die Musik ins Spiel. Jazz, Country (?), Pop – alles dabei, aber wiederum vollkommen willkürlich eingesetzt. Nach spätestens einer Stunde nervt das nur. Andererseits sieht euer Inventarbildschirm originell aus: In einem imaginären Büro könnt ihr durch eure Sachen stöbern oder Akten wälzen – das könnte toll sein, wenn es nicht jegliche Zugänglichkeit vermissen ließe.

Die Alptraum-Sequenzen erinnern an Resident Evil.

2. „Deadly Premonition“ ist voller Skurrilitäten.

Ein schizophrener FBI-Agent, der sich mit seiner imaginären zweiten Persönlichkeit „Zach“ ständig unterhält und aus seinem Kaffee die Zukunft deutet. Außerdem liebt er Filme und unterhält sich mit Zach über „Tremors“&Co. Es gibt einen Sheriff, der euch trotz des Mordfalls losschickt, um seine Hanteln zu finden. Sein Intimfeind ist ein alter Mann im Rollstuhl und Gasmaske, der nur durch seinen Assistenten spricht. Die Handlung spielt in einem Ort, in dem es wegen einer Legende von einem Regenmantel-Mörder keine Regenmäntel gibt. Und ihr werdet in der Alptraumwelt auch leckere Lachsbrötchen finden, um euren Hunger zu stillen. Ja, all das erinnert an „Twin Peaks“, denn auch hier sind die Gesetze der Realität ausgehebelt, sondern alles ist ein Spiel mit Mythen, Zitaten und Klischees. In „Deadly Premonition“ wirkt alles unglaublich forciert, denn offensichtlich wollten die Macher alles auf einmal haben: einen Mordfall wie in „Sieben“, eine offene Welt wie in GTA und Figuren wie bei David Lynch.

Francis York Morgan - schizophren, arrogant und genial

3. „Deadly Premonition“ ist genial.

Die Idee ein Genre wie Survival Horror in ein Open-World-Szenario zu verlagern ist originell. Theoretisch bietet das Spiel ein riesiges Gebiet zum Erkunden, aber praktisch ist damit bereits Schluss, wenn ihr mit Vollgas über ein freies Feld jagen wollt. Plötzlich taucht da nämlich eine unsichtbare Wand auf und ihr knallt mit voller Wucht dagegen. Fahrt ihr aber eine Weile durch die Gegend, werdet ihr bemerken, dass euch der Sprit ausgeht. Außerdem müsst ihr ständig dafür sorgen, dass eure Spielfigur genug Schlaf und Essen bekommt. Ein echtes Aha-Erlebnis gibt es relativ am Anfang, als ihr auf den ominösen Regenmantel-Killer trefft. Der Bildschirm wird zum Splitscreen und ihr müsst vor dem Killer in einer Art „Quick-Time-Event“ fliehen. Das ist vor allem überraschend, aber genauso unbeholfen umgesetzt: Die Framerate geht in die Knie und auf jedes Hindernis wird in Seelenruhe hinaufgeklettert. Das wirkt unfreiwillig komisch und es zerstört die Stimmung. Solche Szenen sind aber typisch für das ganze Spiel.

"Deadly Premonition": Leider zuviel des Guten

Machen wir uns nichts vor: Deadly Premonition ist kein gutes Spiel, sondern ein Haufen Chaos, dem eine ordnende Hand fehlt und dessen originelle Ideen schlampig umgesetzt sind. Die einzelnen Elemente mögen gut sein, aber im Zusammenspiel funktioniert hier nichts, weder Grafik, Musik oder Story. Es hätte das bessere “Alan Wake” werden können – mit einer freien Welt, skurrilen Figuren und einer düsteren Story, doch so bleibt es “nur” ein Unikum in der momentanen Spielelandschaft. Das hat mich manchmal an “Brütal Legend” erinnert, ebenfalls so ein Spiel, in dem viele Ideen ins Leere liefen. Nur war dort die Story perfekt und stimmig inszeniert. Am Ende bleibt von “Deadly Premonition” ein Hauch von Genialität, den man erst dann spürt, wenn man die vielen Mängel ausgeklammert hat. Dadurch wird mir das Spiel sympatisch, denn es kümmert sich nicht um allgemeine Spielgewohnheiten und wirft mit allem um sich, was den Entwickler wohl gerade so eingefallen ist. Selten lagen Wahnwitz und Genialität so dicht beieinander wie bei “Deadly Premonition”.

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One comment on “Deadly Premonition: FK… in my coffee

  1. Da ich gerade Footage von Deadly Premonition für Mehrspieler 5 capture, will ich nicht allzuweit vorgreifen. Für mich ist Deadly Premonition ein Titel, wie ich ihn zuletzt in der goldenen Gaming-Zeit auf der Dreamcast gespielt habe. Wagemutig, unperfekt, aber doch irgendwie mit dem gewissen etwas und irgendwie genial. Wenn man sich davon überzeugen kann, ein Dreamcast-Remake zu spielen, fallen auch die technischen Schwächen nicht mehr so auf. Damals waren wir mit den Voiceovers der Sega of America Janitors auch zufrieden!