Polizei: Die PC-Simulation aus Sicht eines Kriminalbeamten

13. August 2011

Als Rondomedia vor einiger Zeit „Polizei – Die realistische Simulation des deutschen Polizeialltags“ veröffentlichte, dachte ich mir: „Wie authentisch ist dieser Simulator wirklich?“ Die Suche nach einer Antwort führte mich zu einer an sich logischen Erkenntnis: Nur ein Polizist kann das wissen!

Ich wandte mich an die Pressestelle der hiesigen Polizeidirektion Dresden, und dort half mir der freundliche Ansprechpartner schnell weiter. Er fand tatsächlich einen geeigneten Kandidaten mit der von mir gewünschten Spieleaffinität. Der Kriminalbeamte Herr Grafe erhielt von mir das Spiel „Polizei“ und durfte es selbstverständlich in seiner Freizeit und außerhalb seines Jobs ausgiebig aus seiner Perspektive beurteilen. Sicher, als Kriminaloberkommissar ist er kein Streifenpolizist, er kennt aber sehr wohl den Arbeitsablauf seiner Kollegen und dürfte selbst gesammelte Erfahrungen besitzen. Es sei betont, dass es sich hierbei um private Einschätzungen von Herrn Grafe handelt!

Polizei: Im Spiel mimt ihr den Freund und Helfer der Menschen.

Polizei: Im Spiel mimt ihr den Freund und Helfer der Menschen.

Welch Überraschung: „Polizei“ mag in vielerlei Hinsicht lebensfremd sein, der Titel von Quadriga Games verfügt aber durchaus über einige glaubwürdige Elemente, die die Arbeit der Gesetzeshüter zumindest andeuten.

Zum Spiel: Laut offizieller Beschreibung stellt „Polizei“ den realistischen Polizeialltag dar. Ihr geht mit dem Duo Dieter und Simone auf Streife, bekämpft das Verbrechen und meistert eine virtuelle Karriere in einer offenen Spielewelt – zu Fuß und mit dem Auto. Die fiktive Großstadt lädt zum Erkunden ein, zufällig erhaltet ihr über Funk zu erledigende Aufträge. Ausgestattet sind die beiden mit Pistolen, PDA, Handschellen und Tränengas, unter anderem kämpfen sie gegen Hooligans, Mörder, Falschparker und Drogenhändler. Was in der Theorie ganz spannend klingt, ist in der Praxis aus Coregamer-Sicht recht tröge und visuell nicht auf der Höhe der Zeit. Aber darum geht es all denjenigen nicht, die möglichst detailgetreu den Job des „Freund und Helfers“ nachempfinden wollen.

Herr Grafe war vor dem ersten Spielen von „Polizei“ dezent skeptisch – sicher zu Recht. Denn bisher gab es noch kein Spiel, das gut in die Kategorie „Polizeisimulation“ gepasst hätte. Ein „GTA“ jedenfalls nicht. Herr Grafe dazu: „Eine realistische Simulation, die den Beruf des Polizisten darstellen soll, konnte ich mir ehrlich gesagt von Anfang an nicht vorstellen. Demzufolge hatte ich keine größeren Erwartungen…

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In „Polizei“ ist es eure Aufgabe, zwischen den Polizisten Dieter und Simone zu wechseln, sie verfügen nämlich über individuelle Eigenschaften. Das Dreamteam fährt durch die Metropole, sucht nach Gaunern oder falsch geparkten Autos und hofft kontinuierlich auf neue Aufträge aus dem Polizeifunk. Herr Grafe sieht in dem Ansatz keinen groben Fehler, schließlich sind „Streifenbeamte…natürlich auf der Straße im Einsatz. Das Aufgabengebiet umfasst dabei beispielsweise die Verfolgung von Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten, die Verkehrsunfallaufnahme, die Überwachung des Straßenverkehrs sowie den Umgang mit hilflosen Personen.“ Ihm fällt allerdings auf, dass „Polizei“ den Spieler zu keiner Zeit mit „…vielen anderen Sachverhalten konfrontiert“, die zur Arbeit der Polizei gehören. Auf das „..Schlichten von zivilen Streitigkeiten“ geht das Werk der „Emergency“-Macher nicht ein. Unrealistisch ist in seinen Augen ein elementarer Aspekt: „Natürlich werden die Einsätze über eine Leitstelle koordiniert, es ist aber nicht der Fall, dass die Beamten nur auf den nächsten Auftrag warten. Jeder Polizist arbeitet selbständig.

Für eine Selbständigkeit bleibt in „Polizei“ kaum Zeit. Während einer Schicht erledigt ihr unzählige Fälle – vom Bankraub bis hin zu Verfolgungsjagden durch die Stadt. Oftmals geht es sogar hektisch zu. Das ist Herrn Graf zufolge in einer echten Großstadt wie Dresden nicht immer der Fall. In der sächsischen Landeshauptstadt „..stehen Kapitalverbrechen glücklicherweise nicht auf der Tagesordnung.“ Dem Polizeioberkommissar ist die Kriminalitätsrate im Spiel zu hoch angesetzt, was freilich für Spannung sorgen soll. Dieser scheitert aber daran, dass „…jedes Verbrechen gleich abläuft…“ und schnell Langeweile aufkommt. Ein Polizeibeamter im Streifendienst habe zum Beispiel in Dresden deutlich mehr zu erledigen. Vor allem sind die Tätigkeiten auf der Straße komplexer, anspruchsvoller und nicht immer routiniert: „Eine Unfallaufnahme kann durchaus mehrere Stunden dauern, denn es ist nicht wie in „Polizei“ suggeriert wird, damit getan, ein Fahrzeug mit dem PDA zu „scannen“, sowie Krankenwagen und Abschleppwagen zu rufen. Selbst mit den modernsten Hilfsmitteln kostet allein die Vermessung der Unfallstelle Zeit. Auch die Anhörung bzw. Vernehmung Beteiligter ist nicht innerhalb von Minuten erledigt.“ Und hier scheitert „Polizei“ an seinem versprochenen Anspruch: Die wichtigen Tätigkeiten, die ein Polizist zu überstehen hat, konnte Herr Graf in dem Spiel nicht entdecken.

Fast wie im wahren Leben: Blitzer aufstellen.

Fast wie im wahren Leben: Blitzer aufstellen.

Aber wollen wir nicht zu hart zu „Polizei“ sein. Herr Graf konnte dem 30 Euro-Titel auch Positives abgewinnen, zumal das Spiel ja letztlich unterhalten will. Ihm gefiel die Idee des PDA am besten. Nur praxistauglich wäre der tragbare Minicomputer auch nicht, mit diesem kann man im Spiel nicht einmal aus dem Streifenwagen heraus Autokennzeichen überprüfen. „Jedes Fahrzeug muss daher erst angehalten werden – eine absolut unsinnige Idee, welche die Arbeit der Polizei in der Praxis stark beeinträchtigen würde.“ Zwar hat die deutsche Polizei nicht ein solch multifunktionales Gerät wie im Spiel, doch Herr Grafe ist eh der Meinung, dass die Polizei „technisch gut ausgestattet.“ sei. Vielmehr mangele es beim Personal. Also schön empfindet er ferner die Beförderungen und Belobigungen, die ihr in „Polizei“ erhalten könnt. Leider haben diese keine ernsthaften Folgen, zu gerne hätte Herr Grafe Einsätze mit mehreren Kräften koordiniert – was wohl auch besser zu seiner gegenwärtigen Tätigkeit gepasst hätte.

Die unsinnigen Aspekte in „Polizei“ brachten Herr Grafe immerhin zum Schmunzeln. Im Spiel ist es „..kein Problem, durch eine Radarfalle mitten auf der Straße den Verkehr komplett lahmzulegen. Auch warten angehaltene Fahrzeuge ewig auf eine Kontrolle. In kürzester Zeit können dadurch ganze Straßenzüge zu Kontrollstellen umfunktioniert werden. Die Bürger nehmen das im Spiel aber sehr gelassen. Nicht einmal ein vorsichtiges Hupen ist zu vernehmen.“ Das würde meine Wenigkeit zu gerne mal an belebten Kreuzungen in Dresden erleben. Vielleicht unterbreitet Herr Grafe dies als konstruktiven Vorschlag seinen Kollegen? Bis der Streifenwagen aus „Polizei“ im Alltag eingesetzt werden kann, dürften dagegen noch einige Jahrzehnte vergehen. Trotzdem ist „..seine Eigenschaft, auf Knopfdruck an jedem Ort der Stadt zu erscheinen, egal wo er abgestellt wurde, … einfach zu verlockend.

Polizei: Auf der Straße ist die Langeweile los...

Polizei: Auf der Straße ist die Langeweile los…

Interessanterweise bemängelte Herr Grafe die Interaktion in „Polizei“. Seiner Ansicht nach ist die gesamte Spielewelt steril, da die Protagonisten nur stur ihre „…programmierten Handlungsroutinen…“ abspulen. Es gibt eben „..kaum Spielräume für die Lösung von Sachverhalten“. Das simple Binärsystem bzw. Schwarz/Weiß-Handeln kommt zu offensichtlich zum Einsatz: „Entweder ist ein Bürger laut PDA festzunehmen oder eben nicht.

Als Helfer des Volkes empfindet Herr Grafe auch das Benutzen von Pfefferspray an Zivilisten als „absolut unverhältnismäßig“. Realistisch ist das nicht, da „..beim Polizeiberuf … in erster Linie [der] gewaltfreie Umgang mit Menschen im Vordergrund“ steht. Dass es keine Leichtigkeit ist, dies in einem Spiel abzubilden, hat Herr Grafe richtig erkannt. Seine Wünsche für eine spannende Simulation seines Berufes sind auch zu schön, als dass sie von einem Entwickler einfach so umgesetzt werden zu können. Er schätzt, es könnte sinnvoll sein, Grundkenntnisse über die Arbeit der Polizei zu vermitteln. Ein Spiel sollte sich im besten Fall auf ein Spezialgebiet konzentrieren, sich zum Beispiel direkt mit einem Kriminalfall beschäftigen. Herr Grafe weiter: „Wichtig ist es zweifellos, dem Spieler nicht alles vorzugeben, sondern auch einen gewissen Anspruch zu stellen. Wünschen würde ich mir die Möglichkeit, häufig aus verschiedenen Vorgehensweisen wählen zu können. Dabei sollten auch Dialoge zwischen Charakteren weitestgehend ergebnisoffen ablaufen können – quasi bestimmt die eigene Cleverness, was das Gegenüber preiszugeben bereit ist. Dies wäre ein großer Schritt in Richtung Realismus.

Das klingt ein wenig nach „L.A. Noire“, nicht wahr? Von diesem Spiel hat Herr Grafe bisher nichts gehört. Und ich denke: Es wird Zeit, dass sich das ändert. Ersichtlich sind aber einige Aspekte: Die Macher von „Polizei – Die realistische Simulation des deutschen Polizeialltags“ haben sich unzureichend mit der Realität beschäftigt und an falschen Stellen Vereinfachungen vorgenommen. Ich gehe davon aus, dass während der Entwicklung kein Polizist mit Rat und Tat zur Seite stand, der die Authentizität hätte erhöhen können. Die Fehler im Spiel sind zugleich Unterhaltungswert – und das sollte nicht der Sinn der Sache sein. Ich bin aber der Überzeugung, und das bestätigt mir auch Herr Grafe mit seinen interessanten Aussagen, dass eine Simulation der Polizeiarbeit reizvoll sein kann – wenn sie gut gemacht ist.

Ein herzliches Dankeschön an die Pressestelle der Polizeidirektion Dresden und selbstverständlich Kriminaloberkommissar Grafe für seine Geduld mit „Polizei“ und die freundliche Unterstützung, ohne die dieser kleine Ausflug in die kriminalistische Realität nicht zustande gekommen wäre.

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One comment on “Polizei: Die PC-Simulation aus Sicht eines Kriminalbeamten

  1. Bountykiller22 Aug 13, 2011

    Super Bericht über die typische Art von Simulationen die sich komischerweise recht gut verkaufen.
    Allein der Trailer zeigt wie langweilig und hässlich das Spiel ist.
    Mein Smartphone und meine PSP bieten Spiele in deutlich schickerer Grafik an.
    Ich hoffe mal das irgendwann qualitativ hochwertige Simulation aus wirklich sinnvollen Berufen produziert werden damit wir nicht mehr über die schlechten meckern müssen.