The Order – 1886: Von Kunst und Quickies

27. Februar 2015

Was soll ich noch schreiben? Wurde nicht bereits alles über „The Order: 1886“ gesagt? Die schlecht gelaunten Kritiker zerrissen den Titel, der Rest konnte dem 3rd-Person-Shooter noch einige guten Seiten abgewinnen. Oder so ähnlich. Zumindest schossen die Rezensionen pünktlich nach Ablauf des von Sony auferlegten Embargos aus dem Netz und Let’s Plays sowie Twitch-Streams bombardierten potentielle Kunden mit der mittlerweile gewohnten Reizüberflutung. Also? Was soll ich jetzt erzählen, was nicht schon unzählige Male ausgerotzt wurde?

Kunst? Haha!

Das Spiel ist nicht komplett Scheiße, aber auch nichts Besonderes. Eine PlayStation 4 hätte ich mir für „The Order 1886“ ganz sicher nicht geholt. Ich hoffe wirklich, dass niemand dieses Werk von Ready at Dawn als Paradebeispiel für Spiele der Gegenwart und Zukunft nennt. Denn das wäre ein Rückschritt für die gesamte Branche, die unbedingt mit ihrer Software ernst genommen werden möchte. Sorry, aber „The Order 1886“ braucht weder die Neudefinition der etablierten Genres, noch steckt hier so etwas wie „Kunst“ drin. Wir reden über ein professionell produziertes Massenmarktprodukt, am Reißbrett entstanden und mit Elementen versehen, die trendy, beliebt, bewährt sind. Ich spüre kein Herzblut, sondern ausschließlich das Bestreben, einen Hit herstellen zu wollen. Das ist keinesfalls verwerflich, wir leben schließlich in einer Marktwirtschaft und nicht in einer Hippie-Kommune.

Reizvolles Szenario? Check! (Foto: Sony)

Reizvolles Szenario? Check! (Foto: Sony)

Ich sehe ein viktorianisches London, Werwölfe, eine Steampunkwelt, Vampire, den Erfinder Nikola Tesla, der Hightech-Waffen baut, Ritter der Tafelrunde Ende des 19. Jahrhunderts, Jack the Ripper. Das ist für mich ein kunterbuntes Chaos, das allerdings interessant genug ist, um mich mit dem Spiel beschäftigen zu wollen. So ein Zufall: Ich mag zwar Blutsauger und Wolfsmenschen nicht, dafür aber eine alternative Realität, vor allem wenn sie in der Vergangenheit angesiedelt ist. „The Order: 1886“ möchte sichtlich für jeden etwas bieten. Starke Frauen, ein wahrlich eldenhafter Protagonist, der eine Verschwörung aufdeckt – prima, auch dabei! Trotzdem bleibt die Story oberflächlich, im Großen und Ganzen einfältig und zu keiner Zeit überraschend. Dazu passt das billige Spielkonzept: 3rd-Person-Knallerei durch Schlauchlevels, Gegnerhorden, die ihr über den Haufen ballert, ein paar experimentelle Tötungsspielzeuge zum Ausprobieren, hin und wieder größere Bosse. Und da sind noch diese Quick-Time-Events. Puh. Auch das noch!

Quickie

So manch einer meinte, Action, Erzählweise und QTEs zusammen würden „The Order: 1886“ den Stil eines interaktiven Films verleihen. Für mich ist das Game nur ein Actionspiel mit einem geringen Umfang, der mit Pseudo-Tiefgang aufgebläht wird. Außerdem beschleicht mich das Gefühl, als dachten sich die Entscheider bei Sony: „ ‚God of War‘ ist Hack’n’Slay mit QTE, ‚Uncharted‘ ist Action-Adventure mit QTE, die komischen Adventures von Quantic Dream sind fast nur QTEs. Was könnten wir Neues machen? Wie wäre es mit 3rd-Person-Shootergedöns und QTE? Na? NA? ‚Gears of War‘ ohne Aliens, dafür mit cineastischen Unterbrechungen. Da fahren die Leute bestimmt drauf ab. Macht’s schön düster wie die ‘Resistance’-Reihe, bitte!“ Oder so. Zugegeben: Ich finde diese Mischung sogar voll okay, entstehen so kaum unnötige Längen. Das wäre bei einem Titel mit einer Spielzeit von deutlich unter zehn Stunden ohnehin alles andere als optimal.

Die Charakterdarstellungen haben das Potential, aus dem Uncanny Valley herauszukommen. (Foto: Sony)

Die Charakterdarstellungen haben das Potential, aus dem Uncanny Valley herauszukommen. (Foto: Sony)

Das größte Problem von „The Order: 1886“ ist meiner Auffassung nach sowieso die Beliebigkeit. Trotz interessanter Ansätze, speziell das Szenario, langweilt mich die komplette Geschichte. Das Leid des Hauptdarstellers Galahad ist mir pupsegal, er wird die Folter zu Beginn eh überleben. Ich knalle mal Feind, mal Freund ab – aha. Und ich renne in erster Linie durch unterirdische Anlagen, U-Bahn-Tunnel oder enge Gassen, als gäbe es von dem neoviktorianischen London nichts Besseres zu sehen. Die Ausflüge auf ein Luftschiff oder in die „Oberwelt“ (ich nenne es mal so) zeigen mir auch nicht unbedingt etwas, was ich erwarte. Sicherlich sind die Figuren detailliert dargestellt und hochaufgelöste Texturen möchten mich umgarnen. Wirklich vom Hocker haut mich wenig. Ist es nach wie vor zu aufwändig, einen Himmel zu animieren? Wieso kann ich keine Lampen ausschießen? Weshalb wiederholen sich sogar Animationsphasen (bei QTEs oder beim Durchwühlen von Regalen zum Beispiel) ständig? Alternative Wege existieren nicht, die Schleich-Passagen sind lächerlich überflüssig und das Deckungssystem gewöhnlich. Wenigstens funktioniert die Action soweit solide bis gut, manche Auseinandersetzungen lassen ordentlichen Spaß aufkommen. So ist es ja nicht!

Blockbuster-Zwang

Ich bereute die sieben Stunden nicht, die ich mit „The Order: 1886“ verbrachte. Action und eine seichte Handlung. Kann man machen, kann man spielen, kann man seine Freizeit mit füllen. Aber: Ausgelutschte Spielelemente und der Versuch, möglichst alles in eine Story zu packen, worauf der Mob abfahren könnte, ist mir zu kalkuliert. Die Entwickler haben keine Kunst erschaffen, sondern irgendein Produkt, das sich gefälligst verkaufen soll. Wie ein „Transformers“-Film von Michael Bay: Keine Substanz, kein Anspruch, keine Leidenschaft. Und so spiele ich auch „The Order: 1886“. Ich hangele mich von Kapitel zu Kapitel, höre mir das in der Tat professionell eingespielte Gelaber der Akteure an, schieße mich durch zig Feinde und stehe am Schluss an einem Punkt, der nach DLCs oder gar eine Fortsetzung schreit. Praktisch: Wer es bis dahin schafft, findet “The Order: 1886” nich sooo übel und ärgert sich dann über diesen Cliffhanger. Pah!

Detailliert, aber lebendig? Nein. (Foto: Sony)

Detailliert, aber lebendig? Nein. (Foto: Sony)

Witzigerweise geht das Konzept der Macher auf: Der PS4 fehlt es an großen Blockbustern, Ende Februar 2015 erschienen keine nennenswerte Spiele bzw. Konkurrenten für Sonys aktuelle Konsole und das gesponnene Universum mitsamt Action-Shooter-Versprechen scheint genügend Gamern zu gefallen. Endlich Nachschub! Vermutlich sind etliche Käufer nach dem Durchspielen gar nicht mal unzufrieden: Der Snack war keinesfalls unappetitlich und ausreichend reizvoll, um es an einem Wochenende bei Pizza und Bier durchzuzocken. Etwas teuer, okay. Klar. Aber dafür sättigend und… hey – denkt einfach daran, wie viel Geld ihr in der Vergangenheit für Mist ausgegeben habt (ich erinnere mich immer wieder mit Schrecken an meine CE von „Far Cry 2“, die ich sogar vorbestellt hatte). Da bekommt ihr bei „The Order 1886“ immerhin etwas geboten.

Ich will und kann „The Order: 1886“ nicht ausnahmslos empfehlen. Es ist ein berechnetes Unterhaltungsprodukt. Nicht mehr, nicht weniger. Wenn möglich, leiht es euch aus. Oder kauft es, wenn es für 40, von mir aus 50 Euro erhältlich ist. Es ist keine komplette Fehlinvestition, aber auch keine Bereicherung für die Sammlung. Es ist Entertainment auf einem Niveau, mit dem ihr euch arrangieren könnt, wenn ihr euch etwas abreagieren möchtet und euch das Szenario anspricht. Verlangt ihr ein kunstvolles Erlebnis für die Sinne, ein noch nie dagewesenes Abenteuer, eine emotionale Odyssee, dann frage ich mich ernsthaft, woher eure Erwartungshaltung kommt.

So. Ich bin fertig. Vermutlich haben das viele andere vor mir schon gesagt. Egal, ich fühle mich jetzt besser. Danke für die Aufmerksamkeit.

tl;dr: Besser als sein derzeitiger Ruf, schlechter als möglich gewesen wäre.

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2 comments on “The Order – 1886: Von Kunst und Quickies

  1. Mir wäre ja alles egal gewesen, wenn The Order eine coole Story erzählt hätte. Aber das tut es ja scheinbar nicht. Schade, hatte Hoffnung, gerade wegen dem Mangel an coolen Titeln.

    Ich warte weiter, lass die PS4 verstauben und… lese mal wieder nen Buch :D

    • WAAAAS? Ein Buch? Also sooo langweilig ist die PS4 dann doch nicht. :))

      Im Ernst: Ich hatte auch auf eine intelligente Story gehofft. Aber ich befürchte, dafür ist der Spieler-Mob ohnehin nicht bereit… :)