Shadow Harvest – Phantom Ops: Super-GAU durch Wertungen

21. April 2011

Es muss einer Katastrophe gleichkommen. Da arbeitet ein Entwicklerstudio Monate, wenn nicht sogar Jahre, an einem Spiel, investiert Herzblut, Freizeit und Geld in das Projekt. Nach bestem Wissen und Gewissen stellen die Programmierer und Designer das Stück Software fertig, rechtzeitig laufen Marketing- und PR- Aktivitäten an und vor dem Release bekommen sämtliche Redaktionen auch ihr Testexemplar. Alles könnte prima laufen, doch dann der Super-GAU: Am Erscheinungstag preisen erste Magazine ihre Testberichte an – mit schockierenden Ergebnissen. Kaufwarnungen statt Kaufempfehlungen! Die niedrigen Wertungen machen Werbekampagnen zunichte, die Vorfreude der potentiellen Käufer wird in Sekundenschnelle zerstört. Und der ins Spiel gesteckte Mammon? Den haben die Verantwortlichen im schlimmsten Fall verbrannt. Wenigstens etwas, was am Schluss erfolgreich verlief.

Stellenweise sieht Shadow Harvest sogar richtig gut aus, oftmals aber eher nicht.

Stellenweise sieht Shadow Harvest sogar richtig gut aus, oftmals aber eher nicht.

So oder so ähnlich könnte es auch bei „Shadow Harvest: Phantom Ops“ gelaufen sein. Als der 3rd-Person-Shooter aus deutschen Landen kürzlich in den Handel kam, hagelte es prompt nach dem Ablauf des Test-Embargos Kritiken der fiesen Art. Eurogamer.de vergab 4/10, 4Players.de 47 Prozent. Übel ist eine Review aus den USA: Eine 2,5 bei Gamespot dürfte dem Spiel traurige Verkaufszahlen in den Staaten bescheren. Und  in Deutschland? Hier ist das Werk vermutlich dem Untergang geweiht.

Ich fragte bei der zuständigen PR-Agentur und direkt beim verantwortlichen Entwickler, den Black Lion Studios, via Email nach. Gerade Martin J. Schwiezer, Chef des Hannoveraner Unternehmens, hätte einmal Stellung beziehen können?! Seine Auffassung von den ersten schlechten Pressestimmen interessiert mich unverändert brennend. Durch seine Ignoranz unterstelle ich ihm: Er steht nicht zu und hinter seinem Produkt! Oder gibt es womöglich eine andere Erklärung? Wer weiß…

Dabei sah es für „Shadow Harvest“ im Vorfeld alles andere als jämmerlich aus. Meine Recherchen ergaben, dass quasi alle deutschsprachigen Onlinemagazine lobende Worte in ihren Vorschau-Artikeln parat hatten, egal ob nun Krawall, Gameswelt, Spieletipps oder 4Players. Klar, hier und da nörgelten die verantwortlichen Autoren über diverse Aspekte – aber es hoffte jeder Schreiberling auf Besserung bis zur Fertigstellung.

Oftmals werdet ihr mit stupider Action konfrontiert. Kaum aufregend.

Oftmals werdet ihr mit stupider Action konfrontiert. Kaum aufregend.

Vielleicht hätte es mir ja zu denken geben sollen. Dem Testexemplar (Download-Code) von „Shadow Harvest“ lag ein freundlicher Brief von Martin J. Schwiezer bei, in dem er sich für allerlei Aspekte rechtfertigte. So gäbe es keine heutzutage üblichen Selbstheilungs-Aspekte mehr, stattdessen müssten Spieler nach Medikits Ausschau halten. Genauso erwähnte er das Deckungssystem, bei dem die beiden Helden nur an vorgegebenen Orten Schutz suchen können – nicht aber an allen. Und Martin J. Schwiezer sprach ferner von spielerischer Freiheit und der Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wie eine Herausforderung angegangen wird. Ziel der Black Lion Studios sei es ohnehin, ein altbewährtes, forderndes Action-Erlebnis zu erschaffen – ganz ohne Casual-Elemente und eine kinoreife Inszenierung. Die Designer wollten sich vielmehr bewusst den gegenwärtigen Trends widersetzen, wie Schwiezer in besagtem Brief betont: „Insgesamt ging uns persönlich der Trend weg vom Spielerlebnis und hin zum Film einfach zu weit. Shadow Harvest stemmt sich bewusst gegen diesen Trend und versucht durch klassische Gameplay-Elemente an die Ära der herausfordernden Shooter anzuknüpfen.

Alles super, ich habe wirklich nichts dagegen, wenn Entwickler ihre eigenen Wege gehen. Ganz im Gegenteil, schließlich kommen so oftmals neu- oder vielleicht sogar einzigartige Spielerfahrungen heraus. Nicht so bei „Shadow Harvest“, das in der Tat weit entfernt von einem “gut“ ist. Von einem „Scheiße“ kann eigentlich auch nicht die Rede sein.

Die Stealth-Passagen mit Myra-Lee machen deutlich mehr Spaß.

Die Stealth-Passagen mit Myra-Lee machen deutlich mehr Spaß.

Die Geschichte spricht mich überhaupt nicht an, zu trivial und langweilig präsentiert sie sich. Im Jahr 2025 kämpft ihr in Somalia gegen Truppen des Diktators Karim Kimosein, der kurioserweise über eine mächtige Armee verfügt. Der Protagonist Alvarez reist nach Mogadishu, um dort den Machthaber zu erledigen und nebenbei herauszufinden, wer hinter den mysteriösen Waffenlieferungen steckt. Ach, irgendwie ist das lahm, vor allem das Einführen der zweiten spielbaren Figur Myra-Lee. Die schicke Stealth-Expertin kommt mit dem Hubschrauber an, Alvarez guckt doof. Fertig. Von Dramaturgie und Spannung keine Spur. Aber der Black Lion-CEO deutete es ja schon an: Von kinoreifer Inszenierung halten die Entwickler nicht allzu viel.

Wie sieht’s mit dem Spielkonzept selbst aus? Für mich ist es solide, trotz Stärken und Schwächen. Sogar auf den höheren Schwierigkeitsstufen wundert ihr euch über das strohdumme Auftreten der Gegner, die ihr mit Alvarez vorzugsweise aus dem Weg räumt. Ein paar Waffen, jede Menge stupides Kawumm, schlauchartige Abschnitte – das ist alles so ziemlich 08/15 und wenig kreativ. Das besondere und extra beworbene Deckungssystem, bei dem ihr keinen separaten Button benötigt, ist nicht ausgereift, eben weil ihr euch nicht an allen sinnvollen Stellen hinhocken könnt. Als deutlich spannender empfinde ich die Missionen von Myra-Lee. Sie ist in der Lage, sich kurzzeitig unsichtbar zu schalten, muss mit ihrem knappen Munitionsvorrat auskommen und darf Gegner täuschen oder sie heimtückisch umbringen. Ja, das erinnert an die frühen „Splinter Cell“-Episoden und funktioniert. Wenn ihr später zwischen dem Duo wechseln könnt, erhält „Shadow Harvest“ eine feine taktische Note. Komisch: Beim Schleichen agiert die KI cleverer als bei den Baller-Einlagen. Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass der Schwierigkeitsgrad recht hoch angesetzt ist, was – wer hätte das gedacht – daran liegt, dass ihr nach Medikits Ausschau halten müsst und sich eure Lebensenergie nicht selbständig auffüllt. Der Ansatz ist in Ordnung, aber tatsächlich eine kleine Umgewöhnung.

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Der offizielle Launch-Trailer. Eigentlich sieht der ja nicht schlecht aus...

„Shadow Harvest“ besitzt ein paar intelligente Ansätze, darunter das bessere Erkennen der Feinde beim Anvisieren mit den Waffen und die bedacht ausgewählten Eigenschaften von Myra-Lee. Auch kann ich nicht über unzählige Bugs und Ungereimtheiten klagen, im Großen und Ganzen bereitet das Spiel keine nennenswerten Schwierigkeiten – abgesehen vielleicht vom manchmal nicht korrekt erfolgten Auslösen von Ereignissen. Eine Wertung von 2,5 verstehe ich aus diesem Grund wirklich nicht, das käme ja einem „Unspielbar“ gleich, oder? Allerdings zerstören die Designer jede Menge Atmosphäre – nicht nur durch die Geschichte, sondern auch durch die eintönigen Schauplätze. Dass die technische Seite von „Shadow Harvest“ nicht mehr taufrisch ist, ist für mich weitgehend verschmerzbar. Viele Gebäudefassaden sind aber hässlich, die Explosionen machen nicht viel her, die Animationen sind lächerlich und allgemein gehen die Programmierer spärlich mit modernen Effekten um. Irgendwie bin ich heutzutage einen anderen Standard gewöhnt. Und dass ihr manche Dinge mit Bazooka oder anderen Werkzeugen zerstören könnt, ist zwar nett, letztlich gaukelt euch „Shadow Harvest“ nur „spektakuläre“ Physik-Effekte vor. Alles gescriptet und fest vorgegeben. Sogar ein „Black“ konnte das vor fünf Jahren besser. Noch weniger verstehe ich, wieso ein Spiel aus hiesigen Gefilden mit mittelmäßigen englischen Sprechern auskommen muss. Wenigstens gibt’s deutsche Untertitel und einen fast unpassend hochwertigen Soundtrack. Wieso fehlt eigentlich die Unterstützung des Xbox 360-Joypads? Tss.

Auch wenn diese Artwork anderes andeutet: Shadow Harvest mangelt es an großen Momenten!

Auch wenn diese Artwork anderes andeutet: Shadow Harvest mangelt es an großen Momenten!

„Shadow Harvest“ ist in meinen Augen Durchschnitt. Nicht schlecht, aber sehr weit von einer sensationellen Sehenswürdigkeit entfernt. Viele Kleinigkeiten hätten die Black Lion Studios im Vorfeld ausmerzen können und müssen. In dieser Form aber sind die kritischen Stimmen der Presse nachvollziehbar, auf gewisse Weise. Denn 4er-Ergebnisse bedeuten „unterdurchschnittlich“ – und das ist der Titel nicht! Wie dem auch sei: „Shadow Harvest“ könnt ihr euch antun, etwas Unterhaltung bieten die zwölf Kapitel. Nur wer ist eigentlich auf die mutige/bescheuerte Idee gekommen, den Titel zum Vollpreis verkaufen zu wollen? Im mittleren Preissegment hätte er angemessen mit anderen Shootern z.B. von City Interactive konkurrieren können. Ach, ich vergaß – mit Casual-Action haben die Macher nichts am Hut. So oder so ist für mich klar: „Shadow Harvest“ ist ein baldiger Fall für den Wühltisch.

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