Nach München: “Killerspiele” als Indikator einer persönlichen Fehlentwicklung?

25. Juli 2016

Es war ein medialer Reflex, der zu erwarten war. Nach dem Amoklauf in München vergangenen Freitag wurden der Schuldige schnell wieder ausgemacht: Das Videospiel. Das ist hart, falsch und hilft der Debatte nicht weiter.

Zuvorderst aber noch einmal die traurigen Zahlen. Ein 18-jähriger Deutsch-Iraner hat neun Menschen erschossen, weitere 35 wurden verletzt – von diesen schwebt mittlerweile keiner mehr in Lebensgefahr. Gott sei Dank.

Spekulationen statt Fakten

In der aktuellen gesellschaftlichen Großwetterlage in Deutschland waren prägnante Schlagworte schnell gefunden: Terroranschlag. Der Täter war Flüchtling. Es ist ein amoklaufendes Trio. Nur ein Täter, der aber mit Migrationshintergrund. Er spielte Spiele. Und die könnten doch (auch) schuld daran sein, dass es zu diesem Massaker kam. Ihr werdet es wohl verstehen, weshalb diese Schlagworte gewählt wurden. Sie alle zeigen, mit welchem Irrsinn sich eine Internet-Gemeinschaft auseinandersetzt, wenn der Takt der Nachrichten den Blick aufs Wesentliche verstellt. Ein Gerücht hier, ein Gerücht da – perfekt ist die Konfusion. Der Münchener Polizeisprecher wurde – zu Recht – für sein besonnendes Verhalten gelobt, doch bitte erst einmal die Gefahrenlage ernst zu nehmen, dann alles auf sich wirken zu lassen und dann die Fakten zu schaffen.

Erst jetzt, mit einigen Tagen Abstand, klärt sich die Lage. Ali David S., 18 Jahre, in Deutschland groß geworden und iranischer Abstammung, brachte neun Menschen um, verletzte 35 weitere. Eine Wiederholung der obigen Zahlen. Was darüber hinaus in Gesamtheit herauszubekommen ist, das werden wir erst in den kommenden Monaten erfahren. So wie der derzeitige Kenntnisstand ist, war Ali David S. ein Einzelgänger, gemobbt und gehänselt. Ohne wirkliche soziale Kontakte und nur dem Ventil zur virtuellen Welt, in der er seinen Frust entladen konnte.

Das geschah einerseits in Chats bzw. auf Kommunikationsplattformen, in denen er unter besonders einschlägigen Profilnamen (es kursieren u.a. “Amokläufer” und “Hass”) seinen Fremdenhass ausgelebt, den Winnenden-Amokläufer Tim K. verherrlicht und öfter mal über die nunmehr in die Realität umgesetzte Tat fantasiert haben soll. Dies basiert auf Aussagen zweier Personen, die öfter mit ihm zu tun hatten – inwieweit diese stimmen, sei dahingestellt und muss von der Polizei geklärt werden.

CS:Go - Vorlage für Amokläufe? (Foto: Valve)

CS:Go – Vorlage für Amokläufe? (Foto: Valve)v

Andererseits – und hier kommen wir zum Kern – spielte Ali David S. Computerspiele. “Counter-Strike Source” und den Nachfolger “CS:GO”. Diese zum Sündenbock zu erheben, das ist das Schauerspiel des Bundesinnenministers Thomas de Maizière und des Leiters des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer. Beide Personen aus Politik und Forschung haben sich in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten eine gewisse Prominenz erarbeitet, was ihre “Expertise” angeht. Christian Pfeiffer markt “World of Warcraft” als Shooter im Zweiten Weltkrieg, de Maizière sieht in Computerspielen eine schier unerschöpfliche Inspirationsquelle für allerlei Gräueltaten.

Die Causa de Maizière

De Maizière verweist auf “viele Studien”, die den schädlichen Einfluss von Spielen auf Jugendliche belegen sollen (und diese vage wie gleichsam falsche Aussage kennen wir bereits im anderen Zusammenhang). Längsschnittstudien können keine Kausalität zwischen Computerspielen und Gewalttaten feststellen. Eher ist es eine Korrelation: Wer eine Gewalttat plant oder durchführt, konsumiert mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Computerspiele, die ab 16 oder 18 Jahren freigegeben sind.

Das interessiert nur jemanden wie den Innenminister herzlich wenig. Da geht es auch um das Bundestagsmandat für 2017, um es hart zu sagen.

Ohne den wissenschaftlichen Stand der Dinge in der Gewaltforschung zu Computerspielen (kurz: “Wir wissen eigentlich noch nichts dazu.”) wahrzunehmen, missbraucht de Maizière ein Millionenpublikum, um deren Hobby als Abnormalität anzuprangern. Dieser Missbrauch von Spielen vernebelt den Blick auf die eigentliche Debatte. Und würde man weitergehen, könnte man sagen: Dieser Missbrauch ist nur einen Steinwurf entfernt von dem, was ultrantionale Gruppen oder Daesh/der IS mit Spielen wie “GTA V” veranstalten. Sie instrumentalisieren sie als Teil ihrer Propaganda.

GTA V wird unter anderem vom IS instrumentalisiert. (Foto: Rockstar Games)

GTA V wird unter anderem vom IS instrumentalisiert. (Foto: Rockstar Games)

Wenn ein Bundespolitiker wie de Maizière es schafft, sich mit seinem Bauchgefühl (“besonders aufgewühlt”) zu einer solchen Tat zu äußern und im Nachgang die Richtigkeit seiner Hypothesen als Fakt hinzustellen (SPIEGEL: “Er sagte trotzdem, es sei “nicht zu bezweifeln, dass das unerträgliche Ausmaß von gewaltverherrlichenden Spielen im Internet auch eine schädliche Wirkung auf die Entwicklung gerade junger Menschen hat” und “Das kann kein vernünftiger Mensch bestreiten.”) hat der Mann seinen Beruf nicht verstanden.

Eine Debatte über den Umgang mit Computerspielen, die auch Gewalt beinhalten, ist somit versperrt. Denn sie würde nur auf die Entscheidung zwischen Verbot und Duldung hinauslaufen.

Die Causa Christian Pfeiffer

Der viel gescholtene Christian Pfeiffer vom KFN gab der “Neuen Presse” von diesem Montag in den Notizblock, Ali David S. sei ein “idealtypischer Amokläufer” gewesen. Er habe alle Merkmale erfüllt, “die man in der Forschung als wichtige Faktoren bezeichnet”: psychische Krise, soziale Isolation, Depressionen, massives Mobbing. Nicht erwähnt wurde das Darknet, in welchem sich Ali David S. die Tatwaffe besorgt haben soll.

Mich überraschte Pfeiffer in seinem Statement wirklich. Denn eigentlich kenne ich den Kriminologen als leidenschaftlichen Polterer gegen jedwede Form der interaktiven Unterhaltung. Nun den Fokus einmal auf die eigentlichen Lebensumstände, die Sozialisation und Demütigungen, zu legen, fand ich konsequent und richtig. Trotz der nach wie vor diffusen Lage.

Die Erfahrung, die ich als Redakteur, als Zocker selbst und auch als Verkäufer von Videospielen in einer großen Fachhandelskette machte, war die, dass Spiele nicht in einem luftleeren Raum existieren und ihre Käufer sowie Spieler sich mit allerlei kleinen und großen Problemen rumplagen. Sollte es sich bewahrheiten, was derzeit nur gemutmaßt werden kann, und Ali David S. stand tatsächlich am Rande der Gesellschaft, ohne die Chance zu haben, von ihr akzeptiert zu werden, sollten wir auch Spiele als möglichen Katalysator oder Indikator einer persönlichen Fehlentwicklung untersuchen. Wir könnten über die kulturellen Aspekte sprechen, die wirtschaftlichen, natürlich auch über die pädagogischen. Vielleicht würde man dabei ein Teil des komplexen Psyche-Puzzles finden, wenn sich nachweisen ließe, ob und wie intensiv die Kausalität (und eben nicht die Korrelation) zwischen Spiel und labiler Psyche sein kann.

Die Gedanken jetzt liegen natürlich bei den Opfern und ihren Angehörigen. Auch um derentwillen: Einfach mal nicht laut sein. Sondern leise.

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One comment on “Nach München: “Killerspiele” als Indikator einer persönlichen Fehlentwicklung?

  1. Wie üblich. jemand wird gemobbt, steht am Rand der Geselschaft und läuft Amok. Und was ist Schuld? Die “Killerspiele”.

    Kann ja nicht sein dass vielleicht die Mobber Schuld sind.