Resonance: Konzentrierte Adventure-Brillanz

14. Juli 2012

Dieser Artikel sollte eigentlich ganz anders beginnen. Es sollte eine pure Ode an ein Adventure namens “Resonance“ werden, mit der Gewissheit, dass mir alle Menschen auf dieser Welt zustimmen. Dann traf mich wie der Schlag die Wertung eines renommierten, amerikanischen sowie von mir geschätzten Online-Magazines: eine 5.0. Eigentlich müsste ich jubeln, denn differenzierte Kritiken ähnlich wie im Filmbereich, das ist es, was ich mir seit Jahren wünsche. Doch warum muss der Kerl ausgerechnet die Story als expliziten Schwachpunkt markieren – wo ich diese doch hier als eines der Highlights des Jahrgangs 2012 gen Himmel loben möchte?

Zwei Resonance-Protagonisten in voller Pixel-Pracht. (Bild: Wadjet Eye Games)

Die Erzählstruktur von “Resonance“ erinnert anfangs an das Interactive Movie “Heavy Rain“: Ihr steuert nacheinander die Rollen von vier Protagonisten, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben:

Ed bekommt einen Anruf von seinem Chef Dr. Morales, einem hochqualifizierten Wissenschaftler. Der droht urplötzlich, seine neue, bahnbrechende sowie revolutionäre Erfindung unschädlich zu machen. Ed versucht ihn davon abzuraten und macht sich auf die Socken, um ihn vor irgendwelchen Dummheiten zu bewahren.

Anna ist nicht nur hübsch, sondern wird von unheimlichen Träumen geplagt. Sie findet sich darin als kleines Kind wieder und hat vornehmlich Angst. Ein großes, böses Monster verfolge sie, weshalb sie sich verstecken müsse. Erst wenn sie dies geschafft hat, wacht sie schweißgebadet auf.

Ray ist Reporter und einer heißen Sache auf der Spur. Er verkleidet sich als Wartungsarbeiter und schmuggelt sich in das örtliche Krankenhaus. Dort steht ein Großrechner mit den Daten eines ominösen Projektes namens Antevorta, von dem niemand so recht weiß, was es damit auf sich hat.

Bennet befindet sich irgendwo in einem Hinterhof und beschattet gemeinsam mit seinem Partner einen vermeintlich mickrigen Einbrecher. Sein dicker Bauch suggeriert, dass seine gelenkigen Tage als sportlicher Detective längst vorbei sind und er vor einem Lebensabend als ruhender Beamter steht.

Es dauert nicht lange, bis sich alle vier Personen mehr oder weniger zufällig finden und an einem Strang ziehen. Der Kern der Geschichte betrifft die Erfindung von Dr. Morales: Deren Potenzial wäre einerseits geeignet, um sämtliche Energiekrisen der Erde ad acta zu legen – oder richtig angewandt für Explosionen ungeahnten Ausmaßes zu sorgen.

Ein Unglück als Anfang einer Katastrophe. (Bild: Wadjet Eye Games)

Das ist ein abgedroschener, blöder, hanebüchener Plot? Nein, ist es meiner Meinung nach eben nicht: “Resonance“ klotzt mit einem komplexen Handlungsablauf, der sämtliche Fäden glaubwürdig zusammenhält, am Ende die wichtigsten Fragen klärt und gleichzeitig einen kleinen Spielraum für eigene Interpretationen zulässt.

Das ist noch nicht alles: “Resonance“ ist stückweit ein Thriller, bei dem ihr letztlich einen Bösewicht jagt – schließlich gäbe Morales Erfindung eine prima Waffe ab. xii Games begibt sich bei ihrer Auflösung auf das dünne Glatteis der Plottwists, die euch mit ihren überraschenden Wendungen beeindrucken sollen. Und bei Gott: Eine ganz spezielle hat wahrlich “Kiefer-runterklapp“-Qualitäten. Sie kommt zum einen genau zum richtigen Zeitpunkt und liefert zum anderen einen Schocker, den ihr in der Form von praktisch keinem anderen Spiel gewohnt seid – zumindest fällt mir auf Anhieb kein vergleichbares Beispiel ein.

Nun muss ich wieder auf die harsche Kritik meines amerikanischen Kollegen hinweisen: Der monierte in seiner ursprünglichen Version, die aufgrund von Spoiler-Vorwürfen seitens der Leser inzwischen geändert wurde, unter anderem genau diesen Twist. In der Tat wird euch als Spieler, ich sage mal ganz oberflächlich, etwas vorgegaukelt, was nicht existiert. Stattdessen ziehen euch die Storyschreiber regelrecht den Teppich unter den Füßen weg. In meinem Fall hinterließen sie gar ein tiefes emotionales Loch, weil ich einfach nicht fassen konnte, was da gerade geschehen ist – und so etwas passiert mir bei einem Computerspiel verdammt selten. Ich kann mir sogar vorstellen, dass der eine oder andere sauer aufgrund der Härte der Szene ist – denn sie ist wahrlich nicht Blockbuster-tauglich.

Bennet hat noch keine Ahnung, wie groß der Fall ist… (Bild: Wadjet Eye Games)

Gehen wir kurz weg von der Geschichte und widmen wir uns dem anderen essentiellen Part eines Adventures: den Rätseln. Diese sind wahrlich nicht von schlechten Eltern und dürften Genre-Unkundige trotz groß geschriebener Logik schwer zu schaffen machen. Zu den Highlights gehören das Knacken eines Passwortes, das Erlangen eines Bauplans, das Hantieren mit einem Hochleistungsmagneten sowie das Schlusspuzzle, um den Antagonisten des Spiels zu überlisten. Ihr müsst hierfür um viele Ecken denken, teilweise sogar Texte per Hand eintippen und auf moderne Hilfsmittel wie Hot-Spots verzichten. Erstaunlicherweise habe ich letztere zu keinem Zeitpunkt vermisst, weil man auch ohne sämtliche relevanten Objekte gut sieht.

Der nächste Clou: “Resonance“ ist innovativ. In einem handelsüblichen Inventar sammelt ihr schnöde Objekt, hier jedoch kommen Erinnerungen und Gedanken hinzu. Diese könnt und müsst ihr im Rahmen schnöder Dialoge ansprechen, dazu ein Beispiel: Irgendwann befragt ihr einen Mann nach einem Ereignis, woraufhin er euch seine Sicht der Dinge erzählt. Dieser Monolog wird folgerichtig als Erinnerung in eurem “Inventar“ abgelegt. Etwas später erlaubt er euch, seinen Schraubenschlüssel auszuleihen, der sich in einer Abstellkammer befinden würde – was jedoch nicht der Fall ist. Ihr müsst ihn daraufhin noch einmal ansprechen und anschließend mithilfe der gespeicherten Erinnerung auf seine Erzählung von zuvor hinweisen – in der er nämlich nebenbei erwähnt, wie er den Schraubenschlüssel mitgenommen habe und er eigentlich in seiner Tasche stecken müsste…

Denkt euch noch verschiedene Lösungswege, eine automatische Rückspulfunktion nach fatalen Fehlern sowie drei bemerkenswert unterschiedliche Enden hinzu und ihr könnt vielleicht meine Begeisterung nachvollziehen. Ein anderer Aspekt ist diesmal nämlich weniger Schuld: die Retro-Grafik. “Resonance“ sieht aus wie ein Adventure aus den frühen 90er Jahren, inklusive hübsch-pixeliger Kulisse und grob-hässlicher Charaktere. Die Präsentation ist nur in einem Punkt wirklich modern, nämlich bei der starken englischen Sprachausgabe.

Und damit ist es doch eine Ode geworden, vielleicht auch weil der besagte Kollege anscheinend zur Minderheit gehört und viele andere Kritiker, darunter auch versierte sowie durchaus strenge, in 80er bis 90er Regionen denken. Mir kommt diese “Wertungs-Anomalie“ gleichwohl schleierhaft vor: Ist die Geschichte wirklich so gut, wie ich sie verspürt habe? Ist sie nicht doch eher abgedroschen und überdramatisch? Mag ich den Plottwist nur deshalb so sehr, weil ich ihn in der Form allenfalls aus Filmen aber nicht aus Spielen kenne?

Eine traumatische Vergangenheit plagt Anna. (Bild: Wadjet Eye Games)

Warum frage ich mich diese Dinge überhaupt? Lasse ich mich dermaßen plump von einer anderen Meinung beeinflussen, während mir so viele anderen “Recht“ geben (sofern es in dieser Hinsicht ein solches überhaupt gäbe)? Jawohl, mein Standpunkt gehört verteidigt: “Resonance“ ist eines der besten Point’n’Click-Adventures jenseits der LucasArts, Telltale und Daedalic-Bandbreite. Die Geschichte ist hervorragend geschrieben, sehr gut durchdacht und bietet auch abseits des Twists eine erstaunlich glaubwürdige emotionale Tiefe. Das Rätseldesign ist ein Segen für den hungernden Profi-Tüftler und die Präsentation zwar nicht perfekt, aber durchaus mit Retro-Charme bedacht.

Kurz: Mir doch egal, was andere denken – zumindest heute…

Resonance ist sowohl über Steam als auch direkt über Publisher Wadjet Eye Games erhältlich, bislang nur auf Englisch. Wer sich beeilt, der kann über deren offizielle Seite eine Retail-Version mit Verpackung und Bonus-Material bestellen.

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One comment on “Resonance: Konzentrierte Adventure-Brillanz

  1. SPOILER WARNUNG!

    Rein theoretisch, kann man auf den Plottwist schon vorher kommen, sobald man die Karte, auf der die Wohnungen von Ed, Anna und das Krankenhaus eingezeichnet ist. Ist mir allerdings auch nicht früher in den Sinn gekommen, dass es Ungereimtheiten gibt. Eine 5.0. ist ungerechtfertig. Absolut. Naja, Amis und Adventures ist ja eh so ein Ding ;)