Mehr Fan geht nicht: Black Mesa

27. September 2012

Spiele-Fans sind schon ein echt verrücktes Volk. Sobald sich eine neue 3D-Engine etabliert, wollen sie gleich zigtausend modernisierte Remakes ihrer Lieblingsklassiker. Das Problem: Je weiter wir in die Zukunft blicken, desto aufwändiger sind solche Neuauflagen. Das Spieldesign von damals passt nicht unbedingt zur Technik von heute. Die vielen verzweigten Abschnitte und die Nebenräume ohne Sinn und Zweck verschlingen in einem angepassten Grafikgewand viele Ressourcen.

Das bringt die Fans nicht vom Träumen ab: Sie möchten ein neues “Final Fantasy 7“ in der Renderqualität eines “Advent Children“, ein “Systom Shock“ wie “BioShock“ oder… ein “Half-Life“ optimiert für die Source-Engine bekannt aus “Half-Life 2“. Der letztgenannte Traum ist nun Realität – fast, zumindest.

Sieht definitiv besser aus als Half-Life 1: Black Mesa.

Das Black Mesa Modifcation Team (puh) sitzt seit einer verdammt langen Zeit an “Black Mesa“, einem Remake zu “Half-Life“. Genau genommen haben sich bereits direkt nach der Veröffentlichung des GOTY-überschütteten Nachfolgers 2004 zwei separate Teams ernsthafte Gedanken über ein solches Projekt gemacht. Sie schlossen sich zusammen und bekamen gar den offiziellen Segen seitens Valve. Gabe Newell meinte noch so schön: Es wäre keine Frage, ob eine solche Mod erscheint, sondern wann.

Stichwort “Mod“: “Black Mesa“ ist kein eigenständig lauffähiges Spiel, doch trotzdem durch und durch kostenlos. Ihr benötigt einen Steam-Account sowie die fast 4 GByte große Datei der Mod, die ihr unter anderem über die offizielle Webseite herunter laden könnt. Sobald ihr diese installiert habt, holt sich Steam automatisch die so genannte Source SDK Base 2007, die ebenso ein paar Gigabytes verschlingt. Hierbei handelt es sich um die offizielle Version der Source-Engine, die in der “The Orange Box“ zum Einsatz kam. Auch diese kostet euch keinen Cent.

Habt ihr alles beisammen, dann darf das große Sabbern beginnen: Bereits während des legendären Prologs, bei dem ihr als Gordon Freeman in das Innere der Black Mesa Station fahrt, werdet ihr von der komplett neu gestalteten Kulisse regelrecht erschlagen. Die Farbwahl und der Detailgrad heben sich immens vom Original-“Half-Life“ ab und liegen ungefähr auf dem Niveau von “Half-Life 2“.

Nun wird der Technikfreak sofort anmerken: “Du vergleichst die Mod mit einem acht Jahre alten Schinken und redest von einer tollen Grafik? Das kann doch nie und nimmer stimmen.“ Doch, kann es: Die Zeiten, in denen Polygone sowie Texturen bereits nach wenigen Jahren alt und grau aussehen, sind längst vorbei. Mit dem Trio “Doom 3“, “Far Cry“ und eben “Half-Life 2“ begann für meine Begriffe ein Zeitalter, in der 3D-Grafik nicht zwangsläufig schlecht altern muss.

Auch die Brechstange glänzt wie neu.

Natürlich ist “Black Mesa“ nicht so detailliert wie das neueste “Call of Duty“ oder ein Technikkracher wie “Battlefield 3“. Aber allein der Unterschied von 1998 zu heute ist dermaßen prägnant, dass man einfach seinen Hut vor dem Black Mesa Modification Team ziehen muss. Zudem haben die Jungs nicht nur einfach alle Räume maßstabsgetreu adaptiert und mit neuen Texturen versehen: Speziell die vormals leeren Hallen sind hier viel komplexer gebaut und wirken damit realistischer sowie weniger austauschbar. Kleine Änderungen beim Level- sowie Rätseldesign komplettieren die liebevolle Überarbeitung. So könnt ihr dank der Source-Engine handliche Gegenstände aufnehmen, werfen sowie ablegen, anstatt “nur“ schnöde Knöpfe drücken oder Hebel ziehen.

Die Überarbeitung erinnert mich an “Tomb Raider Anniversary“: Oft hat man den Eindruck, dass das Originalspiel exakt so gestaltet wie das Remake war. Doch erst im direkten Vergleich registriert ihr die vielen Veränderungen abseits der hochwertigeren Texturen. “Black Mesa“ schafft genau wie Crystal Dynamics bislang bestes Lara Croft-Abenteuer die Illusion der Nostalgie kombiniert mit dem Anspruch der Moderne.

Ich bin jedenfalls sprachlos. Zum einen, weil hier eine Leistung von enthusiastischen “Half-Life“-Fans erbracht wurde, die professionelle Hersteller mit einem Millionen-Budget nicht auf die Reihe bekommen. Und zum anderen, weil das Black Mesa Modification Team einige sehr seltsame Balancing-Entscheidungen getroffen hat, die das Gesamtwerk völlig unnötig nach unten ziehen.

Von vorne werdet ihr die Soldaten nur verschwommen sehen…

Von der Euphorie zur Frustration: “Black Mesa“ ist bockschwer – und das selbst im einfachsten aller anwählbarer Schwierigkeitsgrade. Sämtliche Gegner sind stärker, reaktionsschneller und vor allem zielgenauer. Besonders auffällig ist dies bei den menschlichen Soldaten: Sobald sie euch registrieren, ballern sie euch die Lebensenergie in Sekundenschnelle zu Brei. Die Aliens hingegen wirken viel flotter als ihre Pendants von 1998.

Während ich mit dieser Konzeptentscheidung noch leben könnte, artet das Sprungverhalten Gordon Freemans in ätzende Arbeit aus. Im Original war die Hüpferei noch recht angenehm und unkompliziert. Im Remake hingegen könnt ihr entweder ganz normal oder aus der Hocke heraus springen. In letzterem Fall schafft ihr ein paar Zentimeter mehr. Und jetzt ohne Witz und ohne Scheiß: Für 99% aller erhöhter Ebenen, Rohre oder Kisten, auf die ihr klettern sollt, benötigt ihr diese paar Zentimeter! Was noch mehr nervt: Hüpft ihr ganz normal, dann habt ihr das Gefühl, euch fehlen allenfalls zwei Millimeter. In späteren Abschnitten des Spiels kommen noch bastardige Abgründe hinzu, bei denen sowohl euer Anlauf als auch euer Absprungpunkt perfekt sein müssen.

Ich versteh ehrlich nicht, was das soll. Warum hat das Black Mesa Modification Team diese Sprungpassagen dermaßen eklig gestaltet und die Gegner so übertrieben gestärkt? Klar, man wollte den “Half-Life“-Fans eine neue Herausforderung bieten. Jedoch ist dies in meinen Augen keine echte neue Herausforderung, wenn ich einfach “nur“ schneller und perfekter agieren muss. Zudem vergrault das Team potenzielle Neufans, die vielleicht sogar wirklich erst mit “Call of Duty“ aufgewachsen sind. Natürlich plädiere ich nicht für ein solches Niveau. Aber ein optionaler Schwierigkeitsgrad, der bestmöglich das Erlebnis von 1998 widerspiegelt, wäre doch nicht verkehrt gewesen – oder?

Allein dieser Sprung hat mich eine Viertelstunde meines erbärmlichen Lebens gekostet.

Dieser Aspekt hat im Übrigen bereits im offiziellen “Black-Mesa“-Forum für den einen oder anderen Streit gesorgt. Während die einen sich über die übertriebene Härte des Remakes und das lästige Sprungverhalten muckieren, antworten die Verfechter mit einem patzigen “Dann ändere doch einfach die Variablen in der Mod nach deinen persönlichen Wünschen.“. Sorry, aber solche Kommentare sind einfach nur daneben. Zum Glück stammen sie nicht vom Entwickler-Team persönlich, sondern von überheblichen Fans, die anscheinend kein böses Wort über ihre vermeintliche Lieblingsmod ertragen.

Nun: Vielleicht kommt noch ein offizieller Patch, der den Schwierigkeitsgrad auch für Normalsterbliche herunter schraubt. So oder so wird definitiv noch etwas kommen, denn nicht umsonst habe ich in meiner Einleitung von “… fast, zumindest“ geschrieben: In “Black Mesa“ fehlt noch die komplette Alienwelt Xen und somit gut ein Viertel des gesamten “Half-Life“. Der Download lohnt sich trotzdem für geübte Ego-Shooter-Junkies, denn mit dem bereits Gebotenen seid ihr locker für zehn Stunden beschäftigt – und damit gut doppelt so lange, wie bei der Singleplayer-Kampagne eines neuen, teuren “Call of Duty“…

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4 comments on “Mehr Fan geht nicht: Black Mesa

  1. kusel Okt 20, 2012

    Soweit ein recht guter Artikel!
    Mich brachte unter anderem diese Zeile zum Grinsen:

    “Mit dem Trio “Doom 3“, “Far Cry“ und eben “Half-Life 2“ begann für meine Begriffe ein Zeitalter, in der 3D-Grafik nicht zwangsläufig schlecht altern muss.”, da ich zu 100% dazu stimmen kann.
    Diese 3 !!Kracher!! von damals haben meiner Meinung nach die Ego-Shooter Welt revolutioniert und ich finde, dass alle 3 Engines auch heute noch mit den meisten Spielen mithalten können. Klar es gibt Games, die natürlich auch noch mal einen Meilensprung in Sachen Grafik gemacht haben, aber mal ehrlich, DEN Wow-Effekt schlechthin, wie ich Ihn beispielsweise damals bei der Präsentation der Source Engine hatte, habe ich schon lange nicht mehr gehabt.

    Allerdings bin ich der Meinung, das hier ein bisschen zu viel auf das “Sprungverhalten” eingegangen wird. Ich glaube nicht, dass es das Spiel bzw. die Mod so stark negativ beeinträchtigt, dass man von Frustration sprechen kann.
    Und vergessen wir alle mal nicht, dass es sich hierbei um eine !kostenlose! Mod handelt. Die Macher haben sich zig Stunden in ihrer Freizeit diese Mühe gemacht und es stand kein grosser Konzern dahinter, der, wie oben schon erwähnt, Millionen in so ein Projekt gepumpt hat.

    Nichts desto trotz ein schöner Artikel!

    Lg

  2. tokiokeks Dez 19, 2012

    Echt gelungener Artikel!

    Du hast die genau die Punkte genannt, die meiner Meinung nach exakt auf das Zutreffen, was dieses Spiel eben so einzigartig macht (sowie alle Spiele von valve und obwohl dies “nur” eine Fan-Mod ist), aber ebenso verbessert werden könnte.
    Nun gut das mit dem Sprungverhalten ging mir nciht genau so. Ich habe mich relativ schnell daran gewöhnt einfach immer zwei Tasten zum Springen zu benutzen.

    Dennoch fand ich die Mod grandios. Die Liebe zum Detail ist wie in Half-Life 2 zu erkennen. Die änderungen an manchen Rätseln fand ich echt gelungen und vor allem die exakte, aber trotzdem veränderte übernahme von Half-Life.
    Ich war auf jeden fall ziemlich perplex als auf einmal das Game nach dem Spung in das Portal in die Xen Welt geendet hat. :DD
    Ich hoffe das es hier für noch den ein oder anderen Patch gibt ^-^

    lg
    tokiokeks