Gravity: Atemlos im All

6. Oktober 2013

3D ist so nötig wie ein Kropf. Es ist ein Rückfall in Zeiten, als Film nur ein reines Spektakel war. Mit “Gravity” von Alfonso Cuaron könnte sich das ändern.

Gravity: Packender Überlebenskampf mit beeindruckenden Bildern. (Bild: Warner)

Gravity: Packender Überlebenskampf mit beeindruckenden Bildern. (Bild: Warner)

Ich hasse diese billigen “In your Face”-Effekte. Hier ein Messer, dort eine Explosion – es ist eine billige Methode, um das Medium Film “aufzuwerten” und die Zuschauer mit überteuerten Ticketpreisen abzukassieren. Filme, die den räumlichen 3D-Effekt kunstvoll ausnutzen, gibt es wenige. “Avatar” oder “Hugo Cabret” sind die Ausnahmen. Visuelle “Aha”-Erlebnisse hatte ich eher mit Filmen, die vordergründig nur “2D” sind. Wenn etwa Janusz Kaminski in “Lincoln” jede kleinste Ecke auf dem Set ausleuchtet oder wenn Scorsese in “Casino” bewegtes Licht benutzt, als DeNiro durch das Bild schreitet, spüre ich mehr Raumtiefe als bei jedem “Into Darkness”, “The Avengers” oder “Der Zorn der Titanen” zusammen.

Am richtigen Ort zur richtigen Zeit

Es kommt wohl auf die richtigen Leute an. Mit Alfonso Cuaron trifft die 3D-Technik nun auf einen Regisseur, der als Perfektionist gilt. Er und sein Kameramann Emmanuel Lubezki haben schon in “Children of Men” bewiesen, dass sie Meister der sogenannten Plansequenz sind, der minutenlangen Filmsequenz ohne erkennbare Schnitte. In “Gravity” besteht die gesamte Exposition aus einer solchen Plansequenz. Lubezki liefert atemberaubende Bilder aus dem All, und als Zuschauer hat man tatsächlich das Gefühl, mittendrin zu sein. Obwohl wir natürlich wissen, dass dies alles nur Kintopp ist, ist die Immersion perfekt. Spätestens dann, wenn sich die Kamera langsam der einsamen Astronautin nähert, in den Helm hinein- und wieder hinausfährt, solltet ihr vor dem perfekten Zusammenspiel von Kamera und Computeranimation neidvoll niederknien. Illumiroom? Oculus Rift? Könnt ihr euch sparen. Schaut “Gravity”.

Für die Männerquote: George Clooney in einer kleinen, aber wichtigen Nebenrolle. (Bild: Warner)

Für die Männerquote: George Clooney in einer kleinen, aber wichtigen Nebenrolle. (Bild: Warner)

Aber ich greife vorweg. Zunächst mal muss eines feststehen: “Gravity” ist kein Science-Fiction-Film. Keine Aliens, keine Quantenverschiebung des Raum-Zeit-Kontinuums und kein Todesstern lösen die Katastrophe im All aus. Nein, die Wrackteile eines Satelliten rasen um die Erde und zerstören alles, was ihnen in den Weg kommt. Dummerweise vernichten sie dabei ein Space Shuttle und die Astronautin Ryan Stone (Sandra Bullock) torkelt orientierungslos durch All. Während ihr die Luft ausgeht, muss sie schnell die nächste Raumstation erreichen, um ihr Leben zu retten.

Dies ist die Ausgangslage für einen typischen “Überlebens-Thriller”. So ist weniger entscheidend was geschieht, als vielmehr wie es inszeniert wird. Zunächst einmal verdient die Geschichte das Prädikat “Drama”. “Gravity” ist Konflikt, Verdichtung und Reduktion in Vollendung. Nichts lenkt euch vom Geschehen ab, kein unnötiger Subplot, in dem die Angehörigen auf der Erde mitfiebern, keine Rettungsmission und kein abgedrehter Mindfuck. Cuaron dokumentiert Stones Überlebenskampf nahezu in Echtzeit und vergeudet keine der rund 90 Filmminuten. Nichts vom Gezeigten wirkt unglaubwürdig, sondern simuliert ein realistisches  Abbild moderner Weltraumtechnik. Jede Antenne, jeder noch so kleine Knopf scheint dort zu liegen, wo er auch in einer echten Raumstation liegt. Wer weiß, vielleicht bilde ich es mir dies nur ein, aber es ist der große Verdienst des Films, dass ich ihm seine “Welt” kritiklos abnehme.

Dazu passt nahtlos die schauspielerische Leistung von Sandra Bullock, weil Cuaron trotz der ganzen Technik nie das menschliche Drama vergisst. Als ich Ms. Bullock vor gut 20 Jahren das erste Mal an der Seite von Sylvester Stallone in “Demolition Man” sah, dachte ich nie daran, dass aus ihr mal eine “Leading Lady” in Hollywood werden würde. Jetzt mit knapp 50 ist sie auf dem Höhepunkt – als Kassenmagnet (“Taffe Mädchen”), als Schauspielerin (“Blind Side”) und als Produzentin ihrer Hits. Die Rolle der Ryan Stone ist wie für sie gemacht, denn wieder einmal spielt sie die alleinstehende und erfolgreiche Frau in einer Männerwelt. Bei ihrer One-Woman-Show im All meistert sie den Balanceakt zwischen Panik, Frustration und Hoffnung mit Bravour. Sie ist kein MacGyver, der mal eben eine Raumstation kurzschließt und mit Ellen Ripley hat sie nur die gesellschaftliche Rolle gemein. Ryan Stone ist dagegen keine Superheldin, sondern sie ist erdverbunden, ehrlich, menschlich.

Trotz aller Technik ist es auch ihr Film: Sandra Bullock als "Dr. Ryan Stone" (Bild: Warner)

Trotz aller Technik ist es auch ihr Film: Sandra Bullock als “Dr. Ryan Stone” (Bild: Warner)

In “Gravity” kommt so alles zusammen, was einen sehr guten Film ausmacht. Eine packende Geschichte, majestätische Bilder und glaubhafte Figuren. Für  mich ist es das erste Mal, dass 3D durch und durch Sinn macht. Die Frage, ob sich das Kino dadurch neu erfindet, lasse ich offen, denn zu sehr scheinen mir Thema, Szenario und Machart miteinander verbunden zu sein, als dass andere Filme sie einfach übernehmen könnten. Doch für “Gravity” wurde 3D erfunden. In 2D wäre dieses Filmerlebnis so sinnvoll, wie ein Stummfilm von Chaplin in Farbe.

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5 comments on “Gravity: Atemlos im All

  1. Magic Okt 6, 2013

    Komme grad aus dem Kino und bin auch sehr begeistert,

    Nur für Realistisch halte ich den Film nicht, die Technik mag es ja sein das die wirklich so ist aber das “ene mene muh” und so einige andere kleine Dinge (die ich hier wegen Spoilergefahr nicht nennen möchte) fand ich doch etwas überzogen.

    Aber Hey, es ist nur ein Film und der ist Spitze :)

  2. Oguz-Khan Okt 7, 2013

    Gravity ist ein furchtbarer Film. Es ist kaum auszuhalten mit diesen tollen spektakulären 3D Filmen. Es ist nicht der Effekt selbst, denn das Gefühl der Schwerelosigkeit wurde selten so gut vermittelt wie in diesem Film. Nein, es geht viel mehr um diese unerträgliche New Age- Esoterik- zurück zur Natur- Happy Clappy- Botschaften. Man denke an Avatar, Life of Pi, Prometheus und jetzt eben Gravity. Alle diese Filme erzählen pseudoreligiöse, pseudointellektuelle,
    pseudokapitalismuskritische und Möchtegern menschliche Geschichten. Man denke an das Format in der uns diese Geschichten präsentiert werden. Jahre der Vorbereitung, unfassbar viel CGI, aufwendigste Kameratechniken und Ultrakomplexe mechanische Installationen, und wofür das Ganze? Um uns zu sagen das wir auf der Erde mit sauberem Wasser und schönen Wäldern ein gutes Leben führen können. Wenn es kein Facebook (oder dieses Kommentarfeld) nicht gäbe, könnten wir aufwachen und die Welt sehen. Zu allem Überfluss kommt noch eine simpeldramaturgie hinzu. Bestimmt explodiert wieder etwas irgendwo oder es kommen einem wieder einmal irgendwelche Trümmer aus dem All entgegen. Von den Telenovela Dialogen ganz zu schweigen. Wenn dann die Protagonistin unter Wasser treibend sich ihres Raumanzugs entledigen muss um einer Qualle gleich (oder Frosch) auf die rettende Oberfläche zu gelangen, und dabei die Stufen der menschliche Evolution abklappert an dessen Ende der aufrecht stehende Mensch steht, wird einem klar: Es braucht schon eine menge Künstlichkeit und Kitsch um und heutzutage die Natur schmackhaft zu machen. Die Geocacher, Farbeutelfeierer, Bionadetrinker und unreligiösen religiösen (die durch alle Religionen schreien und sich bei Ihnen bedienen als wäre es ein Gemischtwarenladen)finden natürlich Ihren gefallen an diesen Filmen.
    Wer ernsthaft der Botschaft dieser Filme folgen möchte, sollte mal für nur einen Tag ohne sein Samrtphone/Handy, Goretex Jacke und Schuhe einen Campingausflug im Wald machen. Mal sehen was von den Simpelbotschaften dieser Filme übrigbleiben wird…

  3. Trotz mangelnder Zeit aktuell (du weißt ja) – die Kritik musste ich jetzt lesen. Sehr gut geschrieben und weckt meine Neugierde sehr. Dabei hatte mich der Trailer ehrlich gesagt gar nicht angesprochen…..

  4. Dominik Okt 14, 2013

    Mich hat der Film nach dem Trailer nicht groß interessiert, aber nachdem in nun doch viele gut fanden, habe ich ihn mir angeschaut und es nicht bereut. Sicher, es ist ein reiner “Spektakel-Film”, aber als solcher definitiv im Kino sehenswert: Die große Leinwand und der 3D Effekt gehören dazu. Am heimischen 40-Zoller sicher nicht ganz so beeindruckend. Ansonsten inhaltlich sicher nichts worüber man lange nachdenken kann, soll oder muss.

  5. So, jetzt habe ich den grossen Abräumer bei den Oscars 2014 auch endlich mal gesehen und muss sagen, dass es schon ein bemerkenswert guter und beeindruckender Film geworden ist. Sandra Bullock ist klasse und hätte sicherlich auch mit einem zweiten Oscar nach Hause gehen können. Die filmische Umsetzung, die Kamera, die Tricks – alles ist wirklich hervorragend gelungen. Da ärgere ich mich doch glatt mal, dass ich ihn nicht im Kino gesehen habe, weil “Gravity” muss wohl noch umso beeindruckender auf einer großen Leinwand sein – 3D hin oder her!

    Cuaron hat damit seinen Ruf als Ausnahmeregisseur, den er bei mir spätestens seit “Children of Men” hat, weiter zementiert. Ich freue mich schon auf ein neues Projekt von ihm, was auch immer das sein wird…