Baphomets Fluch: Ein Kult überlebt seine eigenen Misserfolge

4. September 2012

“Baphomets Fluch“ – “oder Broken Sword“, wie das Spiel im englischen Original heißt – ist ein echtes Phänomen. Auf den ersten Blick sieht es wie ein gewöhnliches Point’n’Click-Adventure der 90er Jahre aus, das zu seiner Zeit weder das Rad neu erfand, noch abseits von den butterweichen Animationen etwas Außergewöhnliches darzustellen schien. Doch bis heute ist es einer der ganz seltenen Genre-Vertreter, der in den Köpfen der Spieler hängen geblieben ist und dabei weder aus dem Hause LucasArts oder Sierra Entertainment stammt.

Auf zu neuen Taten: George und Nico sollen noch nicht ins Altersheim. (Bild: Revolution Software)

Derzeit läuft (mal wieder) eine Kickstarter-Kampagne: Revolution Software, der Original-Entwickler der Serie, bewirbt einen potenziellen fünften Teil mit dem Untertitel “The Serpent’s Curse“ (dt. Titel steht bereits fest: “Der Sündenfall”). Gleichwohl der Verlauf bei weitem nicht mit dem Erfolg von Double Fines namenlosen Adventure mithalten kann und nach knapp zwei Wochen noch ein paar Tausender bis zu den anvisierten 400.000$ fehlen, sollte das ausstehende Sümmchen locker in der verbleibenden Zeit zusammenkommen. Damit wäre “The Serpent’s Curse“ in jedem Falle erfolgreicher als andere Kickstarter-Projekte wie das ominöse “Leisure Suit Larry“-Remake, das brandneue Adventure der “Space-Quest“-Macher oder die Finanzierung gleich mehrerer Point’n’Click-Spiele seitens Genre-Veteran Jane Jensen, die allesamt mit Ach und Krach ihr Ziel erreichten.

Aber woher kommt eigentlich diese Hochachtung bezüglich “Baphomets Fluch“? Meine eigene Erfahrung mit der Serie gleicht jedenfalls einer Achterbahnfahrt: Damals in den 90er Jahren spielte ich die ersten beiden Episoden aus Zeitgründen nur an. Genau genommen gefiel mir der erste Teil spontan recht gut, hauptsächlich dank seiner schicken Comic-Grafik, den tollen Synchronsprechern und dem durchaus sympathischen Protagonisten George Stobbart. Auch das explosive Bombenattentat in einem Pariser Café, welches innerhalb der ersten Viertelstunde für einen spannenden Handlungseinstieg sorgt, wirkte für ein Adventure originell und machte neugierig – aber mehr blieb nicht von der Story hängen. Vorerst zumindest.

Hier stimmt die Chemie: Ein Bild des Director’s Cut inklusive überarbeiteter Charakterportraits. (Bild: Revolution Software)

Der zweite Teil mit dem Untertitel “Spiegel des Finsternis“ hingegen schreckte mich rasch ab: Wieder spiele ich George, werde gleich im Intro niedergeschlagen und an einen Stuhl gefesselt. Das Gebäude um mich herum fängt an zu brennen und eine bunte… äh… große Vogelspinne kriecht bedrohlich auf dem Boden herum. Die mache ich glatt mit einem Bücherregal platt, löse kurz darauf meine Fesseln und lösche nach minutenlanger Gegenstandssucherei das ach so bedrohliche Feuer, während im Hintergrund eine Wellness-Musik läuft. Nein, danke.

Erst viele Jahre später versuche ich es erneut, in beiden Fällen wohlgemerkt – die brandneuen Director’s-Cut-Versionen machen es möglich. Diesmal bleibt es nicht beim Anfang, sondern im Falle des ersten Teiles geht es gar bis zum Finale. Und bei Gott: Was ist das Ding gut gealtert! Plötzlich drängt sich mir die gesamte Brillanz auf: zeitlose Geschichte, schöne Grafik, solides Rätseldesign und eine Dialogqualität, für die jedes Wanne-Be-Entwicklerteam sterben möchte. “Baphomets Fluch“ war beziehungsweise ist spannend, interessant sowie ein Stück weit auch lustig – so könnt ihr jedem Gesprächspartner euer gesamtes Inventar zeigen und bekommt dabei einige sehr amüsante Kommentare zu hören. Und als i-Tüpfelchen funktioniert sogar die Beziehungskiste, die George mit der französischen Journalisten Nico vereint. Ein echter Klassiker eben, der für den Director’s Cut nur bezüglich der Fairness der heutigen Zeit angepasst werden musste. Sprich: Man hat alle Sterbemöglichkeiten entfernt und ein schickes Hilfesystem eingeführt.

Ich wünschte euch eine ähnlich freudige Überraschung bezüglich des zweiten Teiles berichten zu können. Doch obwohl ich den nicht mal alleine gespielt habe, brachen wir zu dritt unmotiviert nach gut der Hälfte des Spiels ab. Die Einleitung ist weiterhin höchst undramatisch für solch eine eigentlich brisante Situation. Danach wird es nicht unbedingt besser: Das ganze Lob, welches Revolution Software für den Vorgänger erhielt, hat sich anscheinend wie ein Geschwür manifestiert. „Hah, die Spieler mochten die Dialoge? Na, dann geben wir ihnen Dialoge!“: So (nicht nur) mein Eindruck, dank der übertrieben, ausufernden Erzählungen sowie Konversationsoptionen.

Baphomets Fluch der Kisten… (Bild: Revolution Software)

Irgendwann zwischen den Originalen und den Neuauflagen ploppten der dritte und der vierte Teil der “Baphomets-Fluch“-Serie auf. Aber lohnt es sich überhaupt, über diese unrühmlichen Fortsetzungen zu schreiben? Nun, ich will fair sein: Es war nicht alles schlecht – allerdings kann ich mich auch kaum mehr erinnern, obwohl ich diese beiden Kandidaten aus beruflichen Gründen (!) durchspielen musste.

Krame ich meine alten Kritiken aus, dann lobe ich die Geschichten und den Humor. Darüber hinaus hagelt es böse Worte: Der Wechsel von der gezeichneten Grafik zu den Polygonen geht zu Lasten des Charmes. Im dritten Teil “Der schlafende Drache“ werde ich von langweiligen Klettereinlagen sowie Kistenschieberätseln geplagt. Der vierte Teil leidet unter einer grässlichen Steuerung, die sich nicht entscheiden kann, ob sie für die Maus oder die Tastatur optimiert ist. Zudem wird die Atmosphäre empfindsam gestört, weil die dramatischen Schlüsselszenen einfach nur schlecht sind und der neue Love-Interest Anna Maria keine Sympathien beim Spieler erzeugt.

Was war passiert? Revolution Software wollte dem “sterbenden“ Adventure-Markt entgegen treten und hat deshalb, wie so viele andere Entwickler, das Point’n’Click-System eingemottet – mit der Brechstange, möchte ich anfügen. Das Endresultat hat niemanden glücklich gemacht: Die Veteranen wollten es nicht und die neuen Käufer ließen sich nicht foppen. Jeder wusste: Nur weil es jetzt ansatzweise wie ein “Tomb Raider“ aussieht, ist es weit entfernt davon, eines zu sein. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Revolution Software sich selbst von den beiden Werken distanziert und seit Jahren über eine Rückkehr zur 2D-Ansicht philosophiert.

Noch ein Fluch in 3D. (Bild: Revolution Software)

In meinen Augen muss es in der Tat am ersten Teil liegen, weshalb die Serie bis heute ihre Fangemeinde aufrecht hält. Dies geht sogar soweit, dass zwischenzeitlich ein klassisches, von Fans erstelltes “Baphomets Fluch 2.5” das Licht der Welt erblickte. Dieses gilt als eines der besten Freeware-Projekte seiner Art und konnte gar so viel Enthusiasmus zusammenkratzen, dass der deutsche Originalsprecher von George Stobbart für lau mitwirkte.

Am Ende bleibt für mich die Frage: Ist Revolution Software in der Lage, ihren Erfolg von vor 16 Jahren zu wiederholen? Mit Verlaub, ich bezweifle es. Das 3D war nicht alleine für die Probleme der Fortsetzungen verantwortlich – ansonsten hätte der zweite Teil nicht ebenso seine ganz eigenen Schwachpunkte gehabt. Über den Tellerrand blickend haben die englischen Entwickler zudem nur ein weiteres, wirklich gutes Adventure auf die Beine gestellt: “Beneath a Steel Sky“. Dieser Titel lebte von seiner Geschichte sowie der Atmosphäre – was man wohl unter anderem der Buchvorlage verdanken konnte…

Ich bin deshalb ganz zynisch und befürchte: Die Jungs hatten mit dem ersten “Baphomets Fluch“ einfach Glück.  Ihnen kam die richtige Eingebung, was den Plot anbelangt. Sie fanden die korrekten Synchronsprecher. Sie punkteten zum richtigen Zeitpunkt mit dem aufwändigen Comicstil. Sie trafen die Balance aus Rätsel und Dialoge. Sie motivierten mit einer Geschichte rund um Attentate, Templer und Religionen, als diese Themen noch nicht zur Genüge durchgekaut waren.

Falls ihr trotzdem an das neue “Baphomets Fluch“ glaubt, dann unterstützt die Kickstarter-Kampagne mit einem beliebigen Beitrag. Wie üblich gilt: Je mehre Geld ihr spendet, desto höher fällt die Goodie-Ausbeute aus. Ich für meinen Teil warte lieber ab und schlage zu, wenn das finale Spiel fertig ist. Diesbezüglich kann ich nur das Beste hoffen – denn was bringt mir schon ein weiteres, schlechtes Adventure-Spiel?

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2 comments on “Baphomets Fluch: Ein Kult überlebt seine eigenen Misserfolge

  1. Ach was habe ich Baphomets Fluch geliebt, insbesondere den ersten Teil. Und ja, die deutschen(!) Sprecher waren ein Traum. Die Stimme von Scully für Nico zu nehmen, war einfach nur ein genialer Schachzug.

    Bei Teil 3 konnte ich mich zunächst auch nicht so erwärmen, das ganze 3D-Dingens gefiel mir nicht so. Allerdings habe den Schlafenden Drachen dann für die PS2 gekauft. Und, was soll ich sagen, auf Konsole spielte es sich toll und hat viel Spaß gemacht! Allerdings gab es ein paar fiese Actionsequenzen – und so etwas ist für mich in einem Adventure ein absolutes NO GO!

    Teil 4 und auch das Fanadventure wollte ich immer spielen, bin aber irgendwie nie zu gekommen. Irgendwann war meine große Adventure-Zeit nämlich auch vorbei. Ich liebe Adventures immer noch aber ich komme einfach nicht mehr dazu sie zu zocken.

    So oder so, Revolution Software ist für mich einer der ganz großen. Ich mochte schon deren Erstling Lure of the Temptress (auch wenn ich kurz vor Ende gescheitert bin) und Beneath a Steel Sky gilt ja auch als Klassiker. Beide habe ich mir damals noch für Amiga geholt. Was war das eine Diskettennorgie …

    Weniger erfolgreich waren eigentlich nur The Road to El Dorado und In Cold Blood. Ersteres interessierte mich nicht sonderlich, weil ich es nicht so cartoonig mag (und war es nicht eine Filmversoftung?) und das zweite ist irgendwie an mir vorbei gegangen, es soll ja eine tolle Story haben aber eben etliche Gameplay schwächen. Und die PC Fassung ist auch irgendwie gar nicht so geläufig, wenn ich an den Titel denke, dann denke ich immer nur an die Playstation-Version.

  2. Die ersten “Baphomet”-Teile gehören für mich zu den besten Adventures überhaupt. Ich kann da auch Andy’s Kritik bezüglich des zweiten Teils nicht nachvollziehen, denn meines Erachtens erreicht Revolution bei “Spiegel der Finsternis” in Sachen Handlung und Spannung schon fast “Indy 4”-Niveau und muss sich nur bei den Rätseln klar unterordnen, da diese nicht nur relativ rar sind, sondern auch insgesamt ziemlich einfach ausfallen. So bleibt ein bisschen das Gefühl eines interaktiven Films – aber was für einen!

    Nur dann ging’s nachhaltig bergab, und die verzweifelten 3D-Versuche richteten eine tolle Adventureserie nachhaltig zu Grunde! Umso skeptischer denke ich über das Kickstarter-Projekt, aber wenn sich Revolution da auf alte Tugenden besinnen kann und mich in eie gute alte Zeit der ersten zwei Teile zurück führt, habe ich natürlich nichts dagegen…